„Mir gefallen Menschen, die um und mit Gott ringen“

Warum Sr. Anna Damas romanische Kirchen schätzt und was sie jungen Frauen rät, die sich nach einem anderen Lebensweg sehnen, verrät die 55-Jährige im Berufungsfragebogen des Zentrums für Berufungspastoral.

Anna Damas wurde 1966 in Duisburg geboren und trat 1987 bei den Steyler Missionsschwestern ein. Nach ihrem Theologiestudium ließ sie sich zur Pastoralrefe­rentin ausbilden und arbeitete im Bistum Aachen. Von 2006 bis 2019 war sie Missionarin im Hochland von Papua-Neuguinea und dort für die pastorale und ka­techetische Ausbildung von Ordensleuten und Laien zuständig. Aktuell arbeitet sie in Rom zur Geschichte und Spiritualität der Steyler Missionsschwestern und gehört der internationalen Arbeitsgruppe (SVD und SSpS) zur Interkulturalität an.

Sr. Anna, Sie waren schon als Kind von fer­nen Ländern fasziniert und haben sich früh für die Idee begeistert, den Glauben mit Menschen anderer Kulturen zu leben. Als Sie dann tatsächlich als Missionarin nach Papua-Neuguinea kamen – gab es da so etwas wie einen Realitätsschock?

Sr. Anna: Ja. Mein Ideal war immer gewesen: Wenn ich in einem anderen Land lebe, will ich mich ganz den Menschen angleichen und ihre Kultur übernehmen. In Neuguinea musste ich einsehen: Das geht gar nicht; ich kann meine eigene Kultur, so wie ich die Welt sehe und er­lebe, nicht einfach abstreifen. Da war ich von mir selbst enttäuscht. Später aber wurde mir bewusst, dass gerade das mein ‚Geschenk‘ und Beitrag für die Menschen in Papua-Neu­guinea war. Immer wieder sagten mir die Kate­chisten: In deinen Unterrichtsstunden bist du so etwas wie eine Brücke – durch dich verste­hen wir den christlichen Glauben besser, der ja von der abendländisch-westlichen Denkwelt geprägt ist; und wir entdecken unsere Kultur neu durch deine Augen.

 

Wie hat damals Ihre Umwelt reagiert, als Sie erzählt haben, dass Sie Missionarin werden?

Sr. Anna: Ich glaube, der größere Schock war, dass ich ‚ins Kloster‘ ging (Armut? Ehelosig­keit? Gehorsam? Bist du noch gescheit?!) Und ja, die Aussicht auf den zweiten ‚Karriere­schritt‘, nämlich ‚in die Mission‘ zu gehen, machte es nicht besser. Sowohl Ordensleben als auch Mission leiden unter ihrem falschen Image. Die meisten Leute wissen nicht wirk­lich, wie es heute gelebt wird, haben aber eine Meinung dazu.

 

Wie lautet Ihre Antwort auf die Frage: „Für wen bin ich da?“

Sr. Anna: Zurzeit bin ich für unsere Novi­zinnen da. In Rom lebe ich in unserer inter­nationalen Noviziatsgemeinschaft mit – nicht als Novizenmeisterin, sondern ich bin einfach dabei. Ich schenke ihnen meine Zeit und mei­ne Lebens- und Ordenserfahrungen, wenn sie danach fragen.

Was ist der größte Schatz, den Sie aus Ihrer Tätigkeit als Missionarin mit nach Hause ge­nommen haben?

Sr. Anna: Dass Gott viel zu groß, zu tief, zu spannend ist, als dass man ihn nur mit den Au­gen einer Kultur, einer Sprache und Denkweise erfassen könnte.

 

Gab es für Ihre persönliche Berufung und die Entscheidung, Missionsschwester zu werden, ein auslösendes Erlebnis, eine ausschlagge­bende Person?

Sr. Anna: Es gab kein Berufungserlebnis im Sinne einer himmlischen Stimme, die mir sagt, was ich tun soll; wohl aber eine Stimme in meinem Herzen, die mich immer wieder fragte: Wofür willst du eigentlich dein Leben leben, woran dein Herz hängen? Ich hatte immer viele Interessen und Ideen; aber alles erschien mir zu klein, nicht letztgültig. Als ich die Steyler Missionsschwestern kennenlernte, faszinierten sie mich als Frauen, die auch im Alter noch innerlich jung waren, und so frei. Sie wussten, wofür sie lebten. Sie hatten ihr Leben völlig in den Dienst der gemeinsamen, größeren Sache gestellt.

 

Welche Person hat Sie besonders geprägt?

Sr. Anna: Ich kann keine bestimmte Person nennen. Aber Leuchttürme sind für mich Men­schen, die mit Leib und Seele Gott suchen. Nicht unbedingt die Frommen. Mir gefallen Menschen, die leidenschaftlich fragen, leiden­schaftlich Fehler machen, lernen, fallen und wieder aufstehen, mit Gott ringen, um Gott ringen und nie aufgeben, ihn zu suchen.

 

Welches Bild sehen Sie, wenn Sie an Beru­fung denken?

Sr. Anna: Hm, vielleicht ein Meer, und mein kleines Boot soll darauf segeln auf einen Horizont hin, der immer Horizont bleibt. Oder ein kleines Licht, ein Brennen im Herzen, das mich nie in (Grabes-) Ruhe lässt.

 

Was sagen Sie einer jungen Frau, die darüber nachdenkt, Mitglied in Ihrer Gemeinschaft zu werden?

Sr. Anna: Wage es! Du kannst deinen Weg nur dadurch entdecken, indem du ihn gehst. Und wenn du den Schritt nicht wagst, könntest du die Liebe deines Lebens verpassen...

 

Welches ist Ihr Lieblingsgebet?

Sr. Anna: Meinen Sie Worte? Dann ist es viel­leicht das Gebet von Romano Guardini:

Immerfort empfange ich mich

aus Deiner Hand.

Das ist meine Wahrheit und meine Freude.

Immerfort blickt mich Dein Auge an,

und ich lebe aus Deinem Blick,

Du mein Schöpfer und mein Heil.

Lehre mich, in der Stille Deiner Gegenwart

das Geheimnis zu verstehen, das ich bin.

Und dass ich bin durch Dich

und vor Dir

und für Dich.

Aber am liebsten bete ich ohne Worte, ganz in Stille.

 

An welchem Ort beten Sie am liebsten?

Sr. Anna: In alten Kirchen, am liebsten roma­nischen Kirchen. Sie atmen Stille, Schlichtheit und den Glauben, der so alt und fest und nackt ist wie die Steine.Was tun Sie in Ihrer Freizeit?

Sr. Anna: Ganz klassisch: wandern, musizieren, lesen.

 

Sie können ein Wunder bewirken. Welches wäre es?

Sr. Anna: Allen Menschen ein weises Herz geben, so wie es Salomon für sich erbeten hat (1 Könige 3,9). Weisheit ist tiefes Verstehen ge­paart mit Liebe. Wenn wir alle so ein denken­des Herz hätten, wäre das fast der Himmel auf Erden.

 

Worauf fällt es Ihnen schwer zu verzichten?

Sr. Anna: Auf gute Gespräche und Gedanken­austausch mit Menschen, mit denen man über Wesentliches und Tiefes reden kann.

 

Ihre Lieblingsinternetseite?

Sr. Anna: Ich bin in der glücklichen Lage, keine zu haben. Ich bin ja noch ohne Computer und Internet aufgewachsen, und in Papua-Neugui­nea kam das Internet auch erst in den letzten Jahren (dazu noch im Schneckentempo); und so kann ich ganz gut ohne leben. Wenn ich trotzdem mal herumstöbere, dann auf Seiten über Natur und Naturwissenschaften.

 

Welchen Film würden Sie Ihren Freunden empfehlen?

Sr. Anna: „Pilgern auf Französisch“. Er erzählt – witzig, aber tief – von einer bunt zusam­mengewürfelten Gruppe von Leuten, die nach Santiago de Compostela pilgern, alle aus unterschiedlichen Gründen. Da läuft gruppen­dynamisch einiges ab, und im Laufe des Weges werden sie immer mehr Mit-Mensch füreinan­der.

 

Welche ist Ihre Lieblingsbibelstelle?

Sr. Anna: Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. (Matthäus 6,21)

 

Mit welchem Heiligen würden Sie gern mal einen Kaffee oder Tee trinken und warum?

Sr. Anna: Mit Teresa von Avila und Hildegard von Bingen. Ich würde die beiden gerne einmal nach ihren Visionen fragen und was eigent­lich dahinter steckt. Ich wüsste gerne, wie sie im Nachhinein über diese Visionen denken: Welchen Zweck sie hatten für sie selber und für uns heute. Und ich würde sie fragen: Gebt mir einen Tipp, wie ich als (Ordens-)Frau heute ein aussagekräftiges Leben leben kann.

 

Was würden Sie in Ihrem Leben gern noch lernen?

Sr. Anna: Orgel, Harfe oder Cello – aber das ist unrealistisch. Aktuell steht die italienische Sprache auf meiner Liste. Ich lebe ja jetzt in Rom, und ich fühle mich erst dann in einem Land zuhause, wenn ich mit den Leuten in ihrer Sprache reden kann. Ansonsten würde ich gerne lernen, zu denken, bevor ich rede. Ich bin da zu spontan.

Fragen: Kornelia A. Lüttmann

Der Fragebogen ist erschienen im Werkheft Berufungspastoral 2021 Nr. 59, Titel: „Für wen bin ich da“. Mit freundlicher Genehmigung des Zentrums für Berufungspastoral.  

 

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