Sr. Anna, Sie waren schon als Kind von fernen Ländern fasziniert und haben sich früh für die Idee begeistert, den Glauben mit Menschen anderer Kulturen zu leben. Als Sie dann tatsächlich als Missionarin nach Papua-Neuguinea kamen – gab es da so etwas wie einen Realitätsschock?
Sr. Anna: Ja. Mein Ideal war immer gewesen: Wenn ich in einem anderen Land lebe, will ich mich ganz den Menschen angleichen und ihre Kultur übernehmen. In Neuguinea musste ich einsehen: Das geht gar nicht; ich kann meine eigene Kultur, so wie ich die Welt sehe und erlebe, nicht einfach abstreifen. Da war ich von mir selbst enttäuscht. Später aber wurde mir bewusst, dass gerade das mein ‚Geschenk‘ und Beitrag für die Menschen in Papua-Neuguinea war. Immer wieder sagten mir die Katechisten: In deinen Unterrichtsstunden bist du so etwas wie eine Brücke – durch dich verstehen wir den christlichen Glauben besser, der ja von der abendländisch-westlichen Denkwelt geprägt ist; und wir entdecken unsere Kultur neu durch deine Augen.
Wie hat damals Ihre Umwelt reagiert, als Sie erzählt haben, dass Sie Missionarin werden?
Sr. Anna: Ich glaube, der größere Schock war, dass ich ‚ins Kloster‘ ging (Armut? Ehelosigkeit? Gehorsam? Bist du noch gescheit?!) Und ja, die Aussicht auf den zweiten ‚Karriereschritt‘, nämlich ‚in die Mission‘ zu gehen, machte es nicht besser. Sowohl Ordensleben als auch Mission leiden unter ihrem falschen Image. Die meisten Leute wissen nicht wirklich, wie es heute gelebt wird, haben aber eine Meinung dazu.
Wie lautet Ihre Antwort auf die Frage: „Für wen bin ich da?“
Sr. Anna: Zurzeit bin ich für unsere Novizinnen da. In Rom lebe ich in unserer internationalen Noviziatsgemeinschaft mit – nicht als Novizenmeisterin, sondern ich bin einfach dabei. Ich schenke ihnen meine Zeit und meine Lebens- und Ordenserfahrungen, wenn sie danach fragen.
Was ist der größte Schatz, den Sie aus Ihrer Tätigkeit als Missionarin mit nach Hause genommen haben?
Sr. Anna: Dass Gott viel zu groß, zu tief, zu spannend ist, als dass man ihn nur mit den Augen einer Kultur, einer Sprache und Denkweise erfassen könnte.
Gab es für Ihre persönliche Berufung und die Entscheidung, Missionsschwester zu werden, ein auslösendes Erlebnis, eine ausschlaggebende Person?
Sr. Anna: Es gab kein Berufungserlebnis im Sinne einer himmlischen Stimme, die mir sagt, was ich tun soll; wohl aber eine Stimme in meinem Herzen, die mich immer wieder fragte: Wofür willst du eigentlich dein Leben leben, woran dein Herz hängen? Ich hatte immer viele Interessen und Ideen; aber alles erschien mir zu klein, nicht letztgültig. Als ich die Steyler Missionsschwestern kennenlernte, faszinierten sie mich als Frauen, die auch im Alter noch innerlich jung waren, und so frei. Sie wussten, wofür sie lebten. Sie hatten ihr Leben völlig in den Dienst der gemeinsamen, größeren Sache gestellt.
Welche Person hat Sie besonders geprägt?
Sr. Anna: Ich kann keine bestimmte Person nennen. Aber Leuchttürme sind für mich Menschen, die mit Leib und Seele Gott suchen. Nicht unbedingt die Frommen. Mir gefallen Menschen, die leidenschaftlich fragen, leidenschaftlich Fehler machen, lernen, fallen und wieder aufstehen, mit Gott ringen, um Gott ringen und nie aufgeben, ihn zu suchen.
Welches Bild sehen Sie, wenn Sie an Berufung denken?
Sr. Anna: Hm, vielleicht ein Meer, und mein kleines Boot soll darauf segeln auf einen Horizont hin, der immer Horizont bleibt. Oder ein kleines Licht, ein Brennen im Herzen, das mich nie in (Grabes-) Ruhe lässt.
Was sagen Sie einer jungen Frau, die darüber nachdenkt, Mitglied in Ihrer Gemeinschaft zu werden?
Sr. Anna: Wage es! Du kannst deinen Weg nur dadurch entdecken, indem du ihn gehst. Und wenn du den Schritt nicht wagst, könntest du die Liebe deines Lebens verpassen...
Welches ist Ihr Lieblingsgebet?
Sr. Anna: Meinen Sie Worte? Dann ist es vielleicht das Gebet von Romano Guardini:
Immerfort empfange ich mich
aus Deiner Hand.
Das ist meine Wahrheit und meine Freude.
Immerfort blickt mich Dein Auge an,
und ich lebe aus Deinem Blick,
Du mein Schöpfer und mein Heil.
Lehre mich, in der Stille Deiner Gegenwart
das Geheimnis zu verstehen, das ich bin.
Und dass ich bin durch Dich
und vor Dir
und für Dich.
Aber am liebsten bete ich ohne Worte, ganz in Stille.
An welchem Ort beten Sie am liebsten?
Sr. Anna: In alten Kirchen, am liebsten romanischen Kirchen. Sie atmen Stille, Schlichtheit und den Glauben, der so alt und fest und nackt ist wie die Steine.Was tun Sie in Ihrer Freizeit?
Sr. Anna: Ganz klassisch: wandern, musizieren, lesen.
Sie können ein Wunder bewirken. Welches wäre es?
Sr. Anna: Allen Menschen ein weises Herz geben, so wie es Salomon für sich erbeten hat (1 Könige 3,9). Weisheit ist tiefes Verstehen gepaart mit Liebe. Wenn wir alle so ein denkendes Herz hätten, wäre das fast der Himmel auf Erden.
Worauf fällt es Ihnen schwer zu verzichten?
Sr. Anna: Auf gute Gespräche und Gedankenaustausch mit Menschen, mit denen man über Wesentliches und Tiefes reden kann.
Ihre Lieblingsinternetseite?
Sr. Anna: Ich bin in der glücklichen Lage, keine zu haben. Ich bin ja noch ohne Computer und Internet aufgewachsen, und in Papua-Neuguinea kam das Internet auch erst in den letzten Jahren (dazu noch im Schneckentempo); und so kann ich ganz gut ohne leben. Wenn ich trotzdem mal herumstöbere, dann auf Seiten über Natur und Naturwissenschaften.
Welchen Film würden Sie Ihren Freunden empfehlen?
Sr. Anna: „Pilgern auf Französisch“. Er erzählt – witzig, aber tief – von einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Leuten, die nach Santiago de Compostela pilgern, alle aus unterschiedlichen Gründen. Da läuft gruppendynamisch einiges ab, und im Laufe des Weges werden sie immer mehr Mit-Mensch füreinander.
Welche ist Ihre Lieblingsbibelstelle?
Sr. Anna: Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. (Matthäus 6,21)
Mit welchem Heiligen würden Sie gern mal einen Kaffee oder Tee trinken und warum?
Sr. Anna: Mit Teresa von Avila und Hildegard von Bingen. Ich würde die beiden gerne einmal nach ihren Visionen fragen und was eigentlich dahinter steckt. Ich wüsste gerne, wie sie im Nachhinein über diese Visionen denken: Welchen Zweck sie hatten für sie selber und für uns heute. Und ich würde sie fragen: Gebt mir einen Tipp, wie ich als (Ordens-)Frau heute ein aussagekräftiges Leben leben kann.
Was würden Sie in Ihrem Leben gern noch lernen?
Sr. Anna: Orgel, Harfe oder Cello – aber das ist unrealistisch. Aktuell steht die italienische Sprache auf meiner Liste. Ich lebe ja jetzt in Rom, und ich fühle mich erst dann in einem Land zuhause, wenn ich mit den Leuten in ihrer Sprache reden kann. Ansonsten würde ich gerne lernen, zu denken, bevor ich rede. Ich bin da zu spontan.
Fragen: Kornelia A. Lüttmann
Der Fragebogen ist erschienen im Werkheft Berufungspastoral 2021 Nr. 59, Titel: „Für wen bin ich da“. Mit freundlicher Genehmigung des Zentrums für Berufungspastoral.