„Erklärt dieses Jahr für heilig, und ruft Freiheit für alle Bewohner des Landes aus! Es gelte euch als Jubeljahr.“ (Lev 25, 10)
Unsere Kongregation wird 130 Jahre alt, und das ist ein denk-würdiger Geburtstag. Niemand hat sich selber geboren, und darum kann sich auch niemand selber feiern an seinem oder ihrem Geburtstag. Wir feiern den Atem Gottes, der unsere Kongregation ins Leben gehaucht hat.
Das Wort Jubiläum kommt vom Hebräischen „Jobel“, das heißt Widderhorn. Dieses Widderhorn wurde bei der Eröffnung des Jubeljahres geblasen (Foto). Ein Jubiläumsjahr, so wie es sich das Buch Levitikus vorstellt, hat allerdings mit einer Geburtstagsfeier wenig zu tun und ist auch sonst keine feierliche Veranstaltung, sondern eine Revolution. Man muss sich das einmal praktisch vorstellen: Im Jubeljahr soll jeder zu seiner Sippe und angestammten Heimat zurückkehren. Landbesitz, der verkauft wurde, geht an die ursprünglichen Eigentümer zurück. Sklaven werden freigelassen. Man soll die Felder nicht bestellen, sondern das essen, was von alleine wächst. – Das sind die großen Worte: Heimat, Freiheit, Ruhe für sich selber und die Natur. Paradisisch. Und genau das will das Jubeljahr sein: die Rückkehr in den paradiesischen Urzustand, in die Welt, so wie Gott sie sich vorgestellt hat. „Das Land darf nicht endgültig verkauft werden, denn das Land gehört mir, und ihr seid nur Fremde und Halbbürger bei mir“, sagt Jahwe (Lev 25, 23). Das Jubeljahr ist eine Erinnerung daran, dass alles Gott gehört und uns Menschen unverfügbar ist. Wir sind nicht die Macher und Eigentümer dieser Welt, sondern Gäste. Gott hat uns eingeladen.
Und wie könnte es also aussehen, wenn wir ein Jubeljahr unserer Kongregation feiern? Es müsste eine Rückkehr zu unserer ersten Liebe sein (im Sinne von Offenbarung 2, 3-5). Vielleicht haben sich Praktiken eingeschlichen, die verdecken oder vergessen, was unserer Kongregation ursprünglich in die Wiege gelegt war. Vielleicht haben wir unsere Freiheit verkauft, einzeln oder auch als ganze Kongregation. Vielleicht sind wir der Meinung erlegen, wir müssten uns den Erfolg unserer Ordensgemeinschaft erarbeiten. Dann sagt Gott: Zurück nach vorn ins Paradies! Aber nicht bloß in Gedanken und Gebeten. Da muss sich schon praktisch etwas tun, auch wenn es unpraktisch erscheint weil so revolutionär.
Eine kleine Revolution in meinem (Ordens-)leben könnte ich mir so vorstellen: Ich stehe morgens auf und seufze nicht: „Ach je, heute muss ich dies und jenes tun“, sondern denke: „Ich bin eingeladen zu einem neuen Tag.“ Als nächstes gehe ich nicht zum Beten wie zu einer Tätigkeit, sondern auf Gottes Einladung trete ich ein in das Gebet der Kirche und des Geistes Gottes, der in uns betet. Meinen Arbeitsplatz betrete ich nicht als Kapitän eines untergehenden Schiffes, und schon gar nicht als ein sein Territorium verteidigender Platzhirsch; sondern ich leiste schlicht und einfach, und wenn möglich sogar froh, meinen Beitrag zu dem, was Gott durch mich heute tun will. In allem bin ich Gast Gottes, der mich eingeladen hat.
Ich schließe mit einem Wort von Karl Rahner: „Die Teilnahme an zahlreichen Sitzungen und Diskussionen lässt in mir oft den beängstigenden Eindruck zurück, dass wir uns bekümmern und aufregen über nebensächliche Dinge. Man fragt sich, ob das alles notwendig ist. Ein wenig Vertrauen in den unbegreiflichen Gott, ein wenig Liebe für den Nächsten, ein wenig Hoffnung, dass wir angenommen sind in der Welt und den Tod annehmen, wenn er kommt – dies und nichts anderes zählt.“
Ein gesegnetes Jubiläum uns allen!
Sr. Anna Damas