Aus dem Dunkel schöpfen

Mit einem Impuls von Birgit Frenking wünschen wir Ihnen, dass auf den Tiefpunkt ein lichtdurchflutetes Osterfest folgt, denn: Es kann kein „Ganzoben" ohne ein "Ganzunten" geben.

Foto: Thomas Drew/Unsplash

Gründonnerstagabend - das Fest ist zu Ende.
Das Brot verzehrt, die Weinkrüge geleert, das Licht gelöscht.
Menschenleer und still ist der Saal.
Die Geschichte wendet sich.

Nicht gänzlich überraschend - dunkle Schatten nährten Vorahnungen. 
Irritation. 
Missgunst. 
Ablehnung.
Angst der Einflussreichen vor Machtverlust.
Die Ordnung – heilig, unantastbar. Das Alte darf nicht neu ausgelegt werden. 
Bloß keine Veränderungen!
Die Bereitschaft, gewaltsam einzuschreiten - deutlich erhöht. 
Verrat und Intrige liegen in der Luft.

Beiseiteschieben - bis dato kein Problem.
Wo viele Schatten, da auch viel Licht und leicht die Möglichkeit wegzuschauen.
So viel Bestätigung, Anerkennung, Dank, Lob und Preis. 
So viele Follower.
So viel Euphorie und Hosianna - noch vor wenigen Tagen.
Fokussieren bedeutet immer auch Ausblenden.

Was nun folgen wird, ist brutal:
Todesangst.
Verhaftung.
Folter und Geißelung.
Spott und Verurteilung.
Schmerzen, Ausweglosigkeit, Niedergang, Verzweiflung, Tod.
Eine grausame Tragödie.

Müssen wir uns die tatsächlich antun?
In Anbetracht des Krieges, der Pandemie. der globalen Krisen?
In Anbetracht aller Schwere und Müdigkeit, die auf uns lasten?
Könnte nicht bitte jetzt, jetzt sofort, mit einem befreienden Paukenschlag Ostern werden?
Könnten wir nicht ein einziges Mal einfach zwei Tage vorspulen?
Was würde uns schon groß entgehen, wenn jetzt sofort Ostern würde?

Noch in dieser Nacht würden wir das "Bleibet hier" nicht hören. 
Die Bitte um Beistand, um Mitaushalten, um Mitbeten – sie würde uns nicht erreichen.

Wir würden nicht hören, dass uns Angst um unsere Courage bringen kann. 
Dass Angst uns dazu treiben kann, gegen eigene Überzeugungen Freunde zu verleugnen. 
Es könnte aber wichtig sein, damit wir nicht vorschnell den Stab über uns oder andere brechen. 

Wir würden nicht hören, wie eine instrumentalisierte Menge lautstark, mit fatalen Konsequenzen, ein Urteil erschreit, das falscher nicht hätte sein können. 
Dabei könnte es uns vielleicht sensibilisieren für Situationen, in denen wir selbst Teil einer Mehrheit sind.

Wir würden nicht hören, wie einer, der unter Druck wissentlich Falsches entscheidet, versucht, seine Schuld abzuwaschen. Mit Wasser. 
Und könnten uns nicht fragen, ob Wasser tatsächlich zur Reinigung des Gewissens taugt. 

Wir würden nicht hören, dass ein Kreuz gemeinsam getragen werden kann, 
dass wir nach Zusammenbrüchen einander aufhelfen können, 
dass wir, aller Ohnmacht zum Trotz, im Kleinen etwas bewirken können, und sei es nur, indem wir ein Tuch anreichen, 
dass Ausharren bis zuletzt möglich ist. 

Wir würden nicht hören, dass Gott seinen menschgewordenen Sohn das Gefühl der totalen Gottverlassenheit durchleben lässt.
Dies im Ohr zu haben, könnte uns aber möglicherweise auffangen und tragen, wenn wir im freien Fall verzweifelt nach Halt und Antwort suchen, weil uns Nachrichten und Weltgeschehen den sicher geglaubten Boden entziehen.

Wir würden nicht hören, dass Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit, Trauer und Schwebezustände ausgehalten werden müssen und ausgehalten werden können. 
Und dass sich das Aushalten lohnt, weil dahinter immer ein "Es geht weiter" folgt. 

Wir würden nicht hören, dass es unser aktives Mittun braucht, damit Ostern werden kann.
Wer hätte denn bemerkt, dass der Tod besiegt wurde, 
wer hätte die Auferstehung bemerkt, hätten die Frauen die Karsamstagsstarre nicht überwunden und wären morgens aufgebrochen und zum Grab gegangen?

Es kann kein "Ganzoben" ohne ein "Ganzunten" geben.
Keine Auferstehung ohne Tod. 
Wollen wir Ostern als Höhepunkt erleben, können wir nicht abkürzen.
Unser Weg muss auch durch die Tiefen führen.

Hörend, mit offenem Herzen, lassen sich auch aus tiefstem Dunkel Lehre und Licht fürs Leben schöpfen. 

Birgit Frenking