„Schaue hindurch, was immer du siehst, mit deinem Herzensauge. Lausche hindurch, was immer du hörst, mit deinem Herzensohr“ - dieses gesungene Gebet von Franz-Xaver Jans-Scheidegger lud die Teilnehmer*innen zu Stille ein, um sich dem großen Geheimnis zu öffnen und in den heiligen Raum des Herzens zu treten. Denn wir waren an diesem Nachmittag eingeladen, mehr zu sehen, als das, was auf den ersten Blick zu sehen und zu hören ist. Eingeladen, einen tieferen Blick zu wagen in das Leben Jesu.
Die vier Evangelien greifen beispielhaft einige Ereignisse aus dem Leben und Wirken Jesu heraus und stellen diese in den großen Heilszusammenhang der Weltgeschichte. Es fällt auf, wie Jesus in ganz verschiedenen Situationen den Gebetskontakt zu seinem Vater sucht. Er geht regelmäßig in die Synagoge (Lk 4,16) und zieht sich am Abend, am Morgen, oder sogar die ganze Nacht zurück, um Kraft für die vielen Begegnungen zu schöpfen. Er dankt seinem Vater nach erfolgreicher Tätigkeit seiner Jünger. Er betet vor großen Entscheidungen, wie der Auswahl der zwölf Apostel.
Lukas schildert auch die einzigartigen Höhepunkte wie die Taufe am Jordan und die Verklärung auf dem Berge Tabor:
„Und während er betete, öffnete sich der Himmel“ Taufe am Jordan. (Lk 3,21ff)
„Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß.“ Berge Tabor (Lk 9,28ff)
Und beide Mal sprach eine Stimme aus dem Himmel: „Du bist mein vielgeliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, auf ihn sollt ihr hören.“
Den Höhepunkt von Jesu Beten erleben wir in der Heiligen Woche. Jesus findet Halt, Kraft und Trost in den bedrohlichen Stunden vor seiner Gefangennahme im Garten Getsemani, in seinem schmerzlichen Ringen um den Willen seines Vaters: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“ (Lk 22,44) „und er schwitzt vor Angst“.
Jesu Gebet gipfelt in seinem Beten am Kreuz. Am Kreuz hängend, betet er nicht für sich, sondern auch für seine Mörder: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34) Und zum Schächer sagt er: „Noch heute wirst du bei mir im Paradiese sein.“
Und Jesus stirbt mit einem Gebetswort auf den Lippen: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Hier spricht Jesus seine Abba-Anrede: „Vater“. Am Kreuz spricht er zärtlich seinen Vater an. In die liebenden Hände seines Vaters, legt er seinen Geist. Das Beten verklärt sein Sterben.
Das Gebet begleitet Jesus während seines ganzen Wirkens bis zum Ende am Kreuz. Es zeigt, wo Jesus seinen wahren Halt gefunden hat. Und es offenbart, dass Jesus aus der Kraft des Gebets seinen Weg gehen konnte, weil über seinem ganzen Leben und über allem Leid der Himmel offenstand und er sich stets mit dem Vater, seinem Abba, eins wusste.
„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn dahingab, damit alle, die an Ihn glauben, das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16)
Durch das ganze Neue Testament hindurch, besonders bei Johannes, sehen wir lebendig, wie innig und tief Jesus mit seinem Vater verbunden war. „Abba“ war sein Leben und sein Gebet. Und die Antwort des Vaters: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe“. In der unendlichen Hinneigung zwischen Vater und Sohn entströmt die Liebe, der Heilige Geist.
Gebet ist eine Bewegung der Liebe, ein Hin- und Herfließen der Liebe Gottes. Unser inneres Beten besteht darin, einzutreten in diese Bewegung der Liebe zwischen Vater und Sohn durch den Heiligen Geist. „Sich von Gott umarmen lassen und IHN umarmen“, sagt uns der Heilige Augustinus.
Eines müssen wir jedoch hinzufügen, dass es sich dabei stets um ein Geschehen im Glauben handelt. Und ein deutscher Theologe, Karl-Heinz Menke, schreibt: „Dass Gott in mich verliebt ist, scheint mir die Grundvoraussetzung für das Beten-Können“
Den Jüngern blieb es nicht verborgen, wie oft ihr Meister betet und sich in die Einsamkeit zurückzog. Sie spürten, dass diese stillen Momente und Stunden, etwas mit dem zu tun haben mussten, was ihn so ausstrahlend und anziehend machte. Es war die Art, wie er still-innerlich mit Gott umging, dies war wohl sein Schlüssel zu seinem Lebensgeheimnis.
Und „Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger; Herr, lehre uns beten…“ (Lk 11,1) und er lehrte sie das Vaterunser.
Beim Beten fiel uns nun auf, dass kein „Mein“ oder „Ich“ vorkommt. Sondern immer ein „Wir“. Das Vaterunser ist ein „Du-Gebet“. Das Neue im Vaterunser besteht in der Gottesbeziehung, in die Jesus seine Jünger einführen will. Jesus will Anteil geben an Seiner Vaterbeziehung. Das Vaterunser will uns an das Herz Gottes ziehen.
Teresa von Avila gab ihren Schwestern den Rat, jede möge sich vorstellen, Jesus säße neben ihr und würde ihr sein Gebet persönlich vorsprechen. „Ich wünsche, dass ihr das begreift: Um das Vaterunser gut zu beten, darf man sich nicht von der Seite des Meisters entfernen, der es uns lehrt.“
Lauschen soll ich, sagt uns Teresa, mehr hören als reden, mir das Vaterunser Wort für Wort vorsprechen lassen, bevor ich selber spreche. Ich soll hineinhören in den Innenraum meiner Seele, wo Jesus, die Worte von damals spricht. Teresa von Avila sagt vom inneren Beten: „Inneres Beten ist Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.“ Christus möchte die Welt berühren, umarmen, auch durch mich…
Aus dem Gebet mit Jesus, werden wir gedrängt, selbst Frohbotschaft zu sein durch unser Leben. Die Erfahrung der Liebe Gottes weiter zu schenken im Gebet, im Heilen und Helfen, Versöhnen und Verbinden. Diese verwandelnde Kraft der überfließenden Liebe Gottes, möge ankommen in den Herzen der Menschen.
Möge auch über unserem Leben, sich immer wieder der Himmel öffnen. Dies ist unser Sehnen und unser Wunsch, als wir uns voneinander verabschiedeten.
Text: Sr. Theresia Eberhard SSpS mit Team
Fotos: Dagmar Blumenthal