„Den Kindern Halt und Sicherheit geben“

Auf dem Victoria Platz in Athen sind Freud und Leid der Geflüchteten spürbar: Mittendrin ist Benjamin, unser Missionar auf Zeit, der in seinem Rundbrief von den Erlebnissen mit den Kindern auf dem Platz erzählt.

Benjamin umringt von Kindern und Jugendlichen auf dem Victoria Platz

In den letzten zwei Monaten sind auf dem Weg von der Türkei zu den griechischen Inseln viele Boote gesunken. So werden zum Beispiel dutzende Migrant*innen seit Dezember im Meer vermisst, nachdem ein Plastikboot vor der Insel Folegandros gekentert war. Mitte Januar wurden an den Stränden der Insel Naxos die Leichen von zwei Kindern angespült, die zu den Opfern dieses Schiffsunglücks gehörten. In weiteren Bootsunglücken im Dezember verloren mindestens 27 Migrant*innen ihr Leben, so geht es aus dem neuesten „Advocacy Update“ hervor.

Zur gleichen Zeit bin ich in Athen und arbeite mit den Menschen, die den Weg nach Griechenland bewältigt haben. An mehreren Nachmittagen der Woche gehen wir, das heißt die Steyler Schwestern und die Freiwilligen, auf einen Platz im Zentrum von Athen, den Victoria Platz. Dort halten sich tagsüber viele geflüchtete Menschen auf. Vor der Pandemie lebten sogar viele Geflüchtete dort, doch zu Beginn der Pandemie wurden solche Spots von der Polizei aufgelöst.

Wenn wir auf den Victoria Platz kommen, werden wir freudig von Kindern begrüßt. Durch unsere regelmäßige Arbeit vor Ort kennen uns die meisten Leute. Auf dem Platz angekommen, packen wir erstmal unsere zwei Rucksäcke aus: Decken zum Hinsetzen, kleine Naschereien und ein paar Spiel- und Malsachen. Die Kinder kennen meist schon die Abläufe und helfen uns beim Einrichten, legen die Decken auf den Boden und warten schon gespannt, was wir heute machen werden. Häufig ist die Auswahl der Aktivitäten begrenzt, da es entweder an notwendigen Dingen mangelt oder wir bei komplexeren Spielen schnell auf Sprachbarrieren stoßen. Doch das macht nichts, denn die Kinder freuen sich auch über einfache Spiele. Wir verstecken uns, springen Seil, veranstalten spannende Fußballspiele oder tanzen und tollen mit ihnen über den Platz.

Auf den ausgelegten Decken bieten wir die Möglichkeit an, sich künstlerisch auszuprobieren oder einfaches englisches Vokabular zu üben. Ich untertreibe, wenn ich sage, dass sich die Kinder darüber freuen. Sie flippen teilweise komplett aus und sind einfach froh mit uns und den anderen Kindern Zeit zu verbringen. Außerdem ist es bemerkenswert, wie viel Spaß man doch mit Kleinigkeiten, wie einem Seil, haben kann. Ein einfaches, ganz normales Seil, aber was man damit alles machen kann: Seil springen, Wellen machen, Tauziehen… und darüber freuen sich die Kinder so sehr, das ist einfach großartig. Ich habe hier lernen können, mich wieder mehr über Kleinigkeiten zu freuen und Privilegien mehr wahrzunehmen und zu schätzen.

Mit unserer Arbeit und unserem regelmäßigen Dasein versuchen wir den Kindern Halt und ein Gefühl von Sicherheit zu bieten. Doch unsere Arbeit auf dem Victoria Platz ist nicht nur für die Kinder wichtig, wir nutzen die Gelegenheit auch, um präsent zu sein, das heißt ins Gespräch zu gehen. Hierbei vermeiden wir die Vergangenheit anzusprechen, da viele Geflüchtete traumatisiert sind und die Gefahr einer sogenannten „Retraumatisierung“ zu hoch ist. Wir bieten jedoch denen ein offenes Ohr an, die sich uns gegenüber öffnen wollen. Häufig nehmen wir auch eine vermittelnde Rolle ein, da zwar unsere Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind, aber wir die anderen Hilfsprojekte und Organisationen, kostenlose Ärzt*innen und Sozialarbeiter*innen kennen, die ihnen bei den konkreten Problemen helfen können. Natürlich ist auch hier die Sprachbarriere oft eine Herausforderung.

Die Arbeit auf dem Victoria Platz macht mir größtenteils sehr viel Spaß, sie ist aber auch emotional anstrengend. Zeit mit den Kindern zu verbringen, ist wunderbar und ich lasse mich gerne von ihrer Freude anstecken und begebe mich selbst wieder in mein zehnjähriges Ich zurück. Auf der anderen Seite wird man hier aber auch mit der sehr prekären Lebenslage vieler Geflüchteten konfrontiert. Diese hatte ich teilweise auch im Vorhinein unterschätzt, zum Beispiel beim Thema Ernährung. Wie mir unsere Sozialarbeiterin mitteilte, leben viele Geflüchtete von einer einzigen richtigen Mahlzeit am Tag. Da ungesunde Lebensmittel häufig günstig zu erwerben sind, machen diese einen großen Teil der Ernährung aus. Dies lässt sich auch an den Zähnen, insbesondere bei den Kindern, erkennen. Doch schlimmer ist für mich der psychische Zustand vieler hier lebenden Menschen und manche Geschichten, die sie aus ihrer Vergangenheit erzählen. Diese sind manchmal so schlimm, dass ich mir nicht vorstellen kann, mit solchen Erinnerungen und Erfahrungen leben zu können.

Alles in Allem kann ich mir nicht Mal ausmalen in der Situation mancher Geflüchteten zu sein. All das Hab und Gut hinter sich zulassen, sich von Freund*innen und Familie auf unbestimmte Zeit zu verabschieden und sich auf einen Weg voller Ungewissheit und Gefahren zu begeben. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit ist ein Privileg, das ich hier richtig zu schätzen gelernt habe.

Benjamin

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