Der Lückenfüller

Als Jugendliche war mir das Pfingstfest ziemlich mysteriös – im Sinne von unverständlich. Jetzt, nach 35 (Kloster-)Jahren, ist es mir immer noch mysteriös – im Sinne von unbeGREIFlich. Es ist schwer, den Finger darauf zu legen und in den Griff zu bekommen, worum es bei Pfingsten geht. Hier trotzdem ein Versuch...

Pfingsten ist Gottes Zusage an uns: Yes, you can!

Der Glaube an Jesus, den Auferstandenen, beginnt mit einer Leerstelle: dem Grab. Das Grab ist leer, Er ist nicht mehr da – soll das etwa eine frohe Botschaft sein?!? Maria Magdalena sucht ihn im Grab, findet ihn nicht, sieht einen “Gärtner”, hört eine Stimme. Und dann Jesu Worte an sie: „Rühre mich nicht an, halte mich nicht fest!“ Hm, das ist eine ziemlich merkwürdige Begegnung. Jesus antwortet auf Maria Magdalenas Sehnsucht mit Selbstentzug.

Ehrlich gesagt, die biblischen Ostergeschichten zeichnen ein erstaunlich realistisches Bild davon, wie ich meinen Glauben erlebe. Immer wieder erscheint der auferstandene Jesus (in Emmaus, am Seeufer, ...), aber die Jüngerinnen und Jünger haben ziemliche Mühe, ihn zu erkennen. Und wenn sie ihn dann doch erkannt haben, ist er auch gleich wieder weg, entschwunden. Zu glauben heißt, in meiner Erfahrung jedenfalls, ständig auf Entzug zu sein. Gott, den ich so gerne nahe bei mir hätte, so gerne festhalten würde, dessen ich so gerne sicher wäre, rinnt mir immer wieder durch die Finger. Es ist tröstlich zu lesen, dass es anscheinend schon den allerersten Christen auch so ging.

„Es ist gut für euch, dass ich weggehe“, sagt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern vor seinem Tod (Johannes 16,7). Gut? Was soll daran gut sein? Ich jedenfalls wünschte mir einen felsenfesten Glauben und dass ich Jesus ohne Zweifel bei mir spüre, hautnah. Wäre das nicht ideal? Jesus scheint anderer Ansicht zu sein, denn „wenn ich nicht weggehe, kann mein Geist nicht in euch sein“ (ebd.). Der Geist wird also die Lücke füllen, die sein Entzug reißt. Nicht ein Jesus, ein Gott, den man dingfest machen kann, sondern eine mysteriöse Gegenwart in uns. Eben darum geht es: in uns, nicht bloß bei uns. Statt eines Gottes mir gegenüber nun ein Gott in mir. Das ist Ermächtigung. So wie wenn die Eltern zum ersten Mal die Hand des Kindes loslassen: „Du kannst jetzt selber gehen.“ Oder wenn der Fahrlehrer sagt: „Und nun fahren Sie mal auf die Autobahn.“ Oder die Chefin meint: „Ich bin morgen nicht da, leiten Sie bitte die Sitzung. Ich autorisiere Sie, Entscheidungen zu treffen.“

Pfingsten ist Gottes unbegreifliche Zumutung an uns: „Yes you can“.

Sr. Anna Damas