Die Kunst des aufmerksamen Zuhörens

Die Karwoche ist generell eine stille Zeit. Aufgrund der Pandemie erleben wir unseren Alltag vielleicht sogar noch stiller als sonst. Über die Chance der Stille und des Zuhörens schreibt Sr. Gretta Fernandes. Ein Artikel aus dem in:spirit-Magazin.

Schon als Babys lernen wir zu sprechen und bereits im Kindergarten oder der Vorschule üben wir das Lesen und Schreiben. Aber was ist mit dem Zuhören? Hat irgendjemand uns das Zuhören beigebracht? In diesem kurzen Artikel möchte ich über die Fähigkeit des Zuhörens in der Sozialarbeit schreiben. Die Fähigkeit des Zuhörens ist nicht nur auf den Beruf des*r Sozialarbeiters*in beschränkt, sondern ist eine Notwendigkeit in unserem alltäglichen Leben und für die Entwicklung erfolgreicher und gesunder Beziehungen in unseren Familien, mit Freunden*innen, in der Schule oder am Arbeitsplatz. 

Um wirklich zuhören zu können, müssen wir erstens in der Lage sein, ein gewisses Maß an Schweigen zu bewahren, wenn wir anderen zuhören. Mir ist klar, dass es in meinen Gesprächen manchmal keine stillen Räume gibt. Wir neigen dazu, die stillen Räume zu füllen, während wir uns mit anderen Menschen unterhalten. Aber wenn wir die stillen Räume ständig ausfüllen, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir nicht zuhören, sondern damit beschäftigt sind, eine Antwort zu formulieren. Zweitens sollten wir angemessene Pausen einplanen, damit wir entdecken, wie es uns mit der Stille geht. Pausenzeiten ermöglichen es sowohl dem Sprechenden als auch dem Zuhörenden, zu verstehen, was welcher Inhalt miteinander geteilt wurde. 

Zuhören ist eine Fertigkeit, die über einen längeren Zeitraum erlernt wird. Woher wissen wir also, dass wir aufmerksame Zuhörer*innen sind? Ein aufmerksamer Zuhörender ist wahrscheinlich aufgeschlossen und vermeidet es, andere zu verurteilen. Wie oft sind wir schon damit beschäftigt, unsere Antworten zu formulieren, während die andere Person beginnt, mit uns zu sprechen. Anderen zuzuhören verlangt von uns, dass wir uns nicht nur auf das konzentrieren, was der*die andere sagt, sondern dass wir die nonverbale Kommunikation mit voller Aufmerksamkeit verstehen. Mit anderen Worten: Zuhören bedeutet, die Person in ihrer Ganzheit zu hören und den Kontext zu verstehen.  Ein aufmerksamer Zuhörender wird dem*der anderen eine einfühlsame Antwort geben können. Kommt es nicht zur erwarteten empathischen Reaktion werden wir von unserem Gegenüber wahrscheinlich hören: „Du verstehst mich nicht“. Damit sagt uns die andere Person, dass wir ihr oder ihm nicht richtig zuhören. 

Heutzutage ist es ein Trend und ein weit verbreiteter Anblick, dass zumeist junge Leute mit Kopfhörern Musik hören, um sich von anderen Geräuschen um sich herum abzuschirmen, damit sie die Musik voll und ganz genießen können. Ähnlich ist es beim Zuhören. Für mich heißt Zuhören, ganz präsent zu sein, die Hintergrundgeräusche auszublenden, während ich meinem*r Gesprächspartner*in zuhöre. Ich erinnere mich noch gut an eine Erfahrung in einem achttägigen Zen-Kurs vor einigen Jahren: Je mehr ich mich zu Beginn des Gebetes/der Meditation auf den Klang des Gongs konzentrierte, desto mehr erlaubte mir meine innere Stille, diesem Klang noch lange nach dem Ende des Läutens zuzuhören und dann diese tiefe innere Ruhe zu erfahren. Während der Exerzitien wurde mir klar, dass Stille und Zuhören zwei Seiten derselben Medaille sind. 

Sr. Gretta Maria Fernandes

Zur Person: 
Sr. Dr. Gretta Maria Fernandes, SSpS, ist gegenwärtig Missionssekretärin der Steyler Missionsschwestern in Rom. Die gelernte Sozialarbeiterin hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Menschen, die in Indien und in den USA in Armut leben. Nach dem Abschluss ihres Promotionsstudiums in Sozialarbeit im Jahr 2013 unterrichtete sie bis 2018 an der City University of New York.  
 

Der Artikelt stammt aus dem in:spirit-Magazin zum Thema "Hören". Mehr zum in:spirit-Magazin erfahren Sie hier.