Als Seelsorgerin begleite ich alte Menschen auf der letzten Wegstrecke ihres Lebens. Für mich ist es schwer auszuhalten, wenn ein alter Mensch allein stirbt und niemand bei ihm oder ihr ist. Wenn ich daran denke, muss ich weinen. Denn aus meiner Kultur kenne ich es anders: Wenn jemand stirbt, ist immer jemand dabei. Mein Herz blutet, wenn ich Sterbende besuche, die keine Angehörigen haben. Natürlich gibt es die Pflegerinnen, die sie versorgen. Aber ich nehme mir Zeit, um bei ihnen zu bleiben.
Einmal war ich bei einer Frau, die über 90 Jahre alt war. Sonntags hatte ich Dienst, habe mit ihr Zeit verbracht und geredet. Ich habe sie auch beim Essen unterstützt. Sie hat noch alles aufgegessen. Am nächsten Tag, als ich ins Seniorenheim kam, habe ich gehört, dass sie gestorben ist. Ich habe gespürt, dass es zu schnell ging. Ich war traurig, dass ich mich nicht mehr verabschieden konnte.
Ich freue mich, wenn ich von den alten Menschen etwas lernen kann, zum Beispiel Offenheit. Viele sind dement, aber sie sind ganz ehrlich: Wenn sie etwas nicht möchten, sagen sie das ganz deutlich. Eine Frau sagte mir ehrlich im Gespräch: Schwester, mit dem Glauben habe ich nichts zu tun. Aber ich habe Respekt vor ihnen. Als Kind habe ich von meiner Großmutter viel über den Glauben gelernt. Ich habe auch Respekt vor meinen Eltern, die an Gott geglaubt haben – aber ich glaube nicht an Gott. Ich sagte ihr, dass es nicht schlimm sei, wenn sie nicht mitbeten möchte, es sei ihr Leben und sie dürfe entscheiden.
Ich erinnere mich gerne an Frau M. Sie hatte zwei Söhne und beide besuchten sie oft. Ich kam öfter dazu und wir haben zusammen gelacht. Wenn wir Musik hatten, habe ich mit ihr getanzt. Als sie im Sterben lag, sind die Söhne immer gekommen. Ich war sehr froh darüber. Ich habe dem jüngsten Sohn gesagt: Euer Papa wartet schon auf ihre Mutter.
Die Söhne wollten nicht, dass die Mutter sterben muss. Es fiel ihnen schwer, sie loszulassen. Als sie im Sterben lag, hat sich besonders der jüngere Sohn sehr um sie gekümmert. Er war da und hat ihr immer den Mund befeuchtet. Nachdem die Mutter gestorben war, brachte er 30 rote Rosen mit und stellte sie in einen Eimer vor die Tür. Er hatte seiner Mutter das Foto ihres Mannes auf die Brust gelegt, die Hände darum gefaltet und zwei Rosen dazu gelegt. Ich sagte ihm: Der Papa freut sich! Auch ich durfte eine Rose neben sie legen.
Als sein Bruder mit seiner Frau kam, hat er ihnen auch gesagt, dass sie eine Rose neben die Mutter legen sollten. Und so machten es alle Familienangehörigen, die kamen, um sich zu verabschieden. Das hat mir gezeigt, dass er sich Gedanken gemacht hat über den Tod seiner Mutter und sie loslassen konnte. Das war ein schöner Abschied und es ist eine schöne Erinnerung für mich, wenn ich daran denke.
Wenn ich die Bewohnerinnen und Bewohner besuche, sagen sie oft: Schwester, ich möchte schnell sterben. Ich sage ihnen dann, dass es im Himmel ist wie im Seniorenheim: Es gibt beim lieben Gott auch eine Warteliste. Wer zuerst angemeldet ist, bekommt auch zuerst einen Platz. Deshalb müssen sie mit Geduld warten, bis sie dran sind. Und dann schmunzeln wir zusammen.
Sr. Gabriella Nahak