MaZ: Paraguay, das Land des Mate und der Chipas

Für Sophie fühlt sich ihr Ankommen als Missionarin auf Zeit (MaZ) in Paraguay als überraschende Achterbahnfahrt an. Warum? Das erzählt sie in ihrem Rundbrief.

Sophie mit einem Mate-Tee

Buenos días y Mba’eichapa – diese Begrüßung ist bilingual. Für mich ist sie in den letzten Wochen ganz normal und alltäglich geworden. Das „Buenos días“ ist wahrscheinlich bekannt. Es bedeutet im Spanischen so viel wie „Hallo“ oder „Guten Tag“. Das zweite Wort der Begrüßung ist Guaraní. So heißt die Sprache der Indigenen, die neben Spanisch die zweite offizielle Landessprache Paraguays ist. Dieses Wort „Mba‘eichapa“ fragt „Wie geht es dir?“ und wird an das „Buenos días“ als Ergänzung angehängt.

Und damit herzlich Willkommen zu meinem ersten Rundbrief aus Paraguay! Seit Mitte August, also inzwischen schon zwei Monate, bin ich nun im Land und so wird es Zeit, erste Eindrücke und Erlebnisse zu teilen. „Wie ist dein Start in Paraguay?“ - So oft habe ich diese Frage in den letzten Wochen gelesen und gehört und es ist wirklich schwierig, sie angemessen zu beantworten. Vielleicht wäre es eine gute Einleitung, zurückzufragen: Bist du schon einmal Achterbahn gefahren?

Ins MaZ-Leben zu starten, ist vielleicht ganz gut mit einer Achterbahnfahrt zu vergleichen. Man steigt mit viel Kribbeln und Vorfreude alleine in ein Wägelchen und dann geht es in rasantem Tempo los. Man weiß, worauf man sich eingelassen hat, aber es fehlt der Überblick über den Verlauf der Gleise, manche Kurven kommen unvermittelt, manche Loopings realisiert man erst im Nachhinein, auf den einen oder anderen Streckenabschnitt hatte man von außen einen anderen Blick. Definitiv ist von jetzt auf gleich ALLES neu, überraschend, mächtig spannend und manchmal herausfordernd: Menschen, Sprache, Abläufe, Gepflogenheiten, Speisen, Kultur, Verkehr sowie die Tier- und Pflanzenwelt. Und so geht es auch innerlich mit den Gefühlen dynamisch kreuz und quer. Absolut neu ist auch: In diese Fahrt startet man allein. Kein vertrauter Familienmensch oder Freund*in sitzt neben einem. Ich war aufgebrochen, um fremde Menschen und Kulturen zu entdecken und entdeckte zu Beginn erst einmal viel über mich. Über meine Möglichkeiten und Grenzen, meine Ressourcen und Lernfelder. Ich schaute auf das, was ich verlässlich brauche und worauf ich mich verlassen kann.

Vor diesem Hintergrund war es für mich sehr wichtig und wohltuend, dass Thomas, ein Mit-MaZler, der wie ich sein Jahr in Paraguay verbringt, allerdings im Süden des Landes, und ich sehr herzlich bei unserer Ankunft in Asunción von den dortigen Schwestern empfangen und aufgenommen wurden. Geplant war ein zweiwöchiger Aufenthalt im Provinzhaus in Paraguays Hauptstadt, um in dieser Zeit die Visaangelegenheiten regeln zu können. Da das Erwirken eines Jahresvisums allerdings viel mehr Zeit braucht als gedacht, wurden aus den zwei Wochen vier Wochen, die wir in der internationalen Kommunität der Schwestern mitlebten. Es waren spannende erste Wochen und sie waren von vielen Feierlichkeiten geprägt.

Nur zwei Tage nach unserer Ankunft ging die Fiesta los und wir feierten ausgiebig den 80. Geburtstag einer Schwester, die gebürtig aus Argentinien stammt. Ihre Familie reiste an und wir erhielten erstmals Eindrücke von der Lebendigkeit der südamerikanischen Lebensart und des Miteinanders. Eine große Torte, ein Asado (so nennt man das Grillen hier, das ein wichtiger Teil und typisches Essen der paraguayischen Kultur ist) und gemeinsames Tanzen gehörten dazu. Beeindruckend war auch ein sehr persönlich gestalteter Freiluftgottesdienst als dankender Rückblick auf das bisherige Leben der Schwester. Bereichert wurde er durch persönliche Berichte, die Mitschwestern und Verwandte einbrachten.

Kurz darauf lieferte Rom uns den nächsten Feieranlass, denn dort wurde zum allerersten Mal ein paraguayischer Bischof zum Kardinal ernannt. Die damit verbundene Freude war schier grenzenlos und so besuchten wir zusammen mit den jüngeren Schwestern der Kommunität an den Folgetagen verschiedene Open Air Veranstaltungen, die aus diesem Anlass stattfanden: Gottesdienste, die in Feste mit Tanz und Gesang übergingen. So bekamen wir vielfältige Einblicke in Volkstänze, -lieder und –musik. Für mich war es sehr faszinierend und mitreißend. Der neu ernannte Kardinal, Adalberto Martínez Flores, feierte seinen Festgottesdienst nach Rückkehr aus Rom übrigens ganz bewusst nicht etwa im Dom, sondern in einem Armenviertel und setzte damit ein klares Statement.

Gefeiert und mit Spannung verfolgt werden hier auch Fußballspiele. So erschien es mir gleich zu Beginn meines Paraguay-Jahres unerlässlich, Anhängerin eines Fußballvereins zu werden. Gar nicht so leicht für jemanden, der bis dato kaum fußballinteressiert war. Aber nun bin ich Fan von „Cerro Porteño“ und habe schon so manches Tor bejubeln können.
 
Asunción gab mir auch Gelegenheit, mein Spanisch zu erweitern, die Stadt und das Leben dort zu erkunden, eine SIM- Karte zu kaufen und erste Exkursionen in die Umgebung zu unternehmen. So führte uns zum Beispiel ein Tagesausflug nach Caacupé, einem Wallfahrtsort, an dem die Jungfrau von Caacupé, die Schutzheilige Paraguays, verehrt wird. Am 08. Dezember, Maria Empfängnis, strömen die Menschen aus dem ganzen Land dorthin zum Gebet zusammen. Außerdem wurde ich direkt zu Beginn großer Chipa-Fan. Chipas sind ein typisches Gebäck mit Maismehl und Käse…super lecker…die meistens von Chipa-Verkäufer*innen auf der Straße in großen Körben, die sie auf dem Kopf tragen, angeboten werden.

Die Zeit in Asunción verging wie im Fluge, auch dank vieler schöner gemeinsamer Abende, die Thomas und ich im Kreise der jüngeren Schwestern, der „Juventud“, erleben konnten. Unvergessen werden mir aber auch die Austausche mit den älteren Schwestern über ihr Leben und ihre Missionseinsätze bleiben.

Das Gefühl der Achterbahnfahrt legte sich in den ersten Wochen, und ich stellte fest: Nach jedem gemeisterten Looping ist man stolz und wächst an seiner Herausforderung. So macht das Achterbahnfahren auch Spaß und bietet Potenzial zum Weiterentwickeln.

Mit der Erfahrung meines ersten Neuanfangs im Gepäck wechselte ich vor vier Wochen zu meiner Einsatzstelle in Nueva Esperanza. Nueva Esperanza ist ein überschaubarer, kleiner Ort nahe der Grenze zu Brasilien. Die Steyler Missionsschwestern haben hier eine Kommunität, die sich die „Indígena Mission“ auf die Fahne geschrieben hat. Die Indígenas leben nicht direkt hier im Ort, sondern in „Comunidades“, Gemeinschaften, von meistens 50 bis zu 100 Personen. Manche dieser Siedlungen liegen nur wenige Autominuten vor der Stadt, zu anderen ist man mehrere Stunden mit dem Auto unterwegs.

Auch in Nueva Esperanza wurde ich äußerst herzlich von „meinen“ drei Schwestern und ihrer Mitarbeiterin begrüßt. Sie bewohnen ein Haus am Rande des Ortes, das nun auch für mich in den kommenden Monaten das Zuhause sein wird. Das Haus ist von einem großen, idyllischen Garten umgeben, in dem es viele Pflanzen, Tiere, einen kleinen Bach, Obstbäume und Gemüsebeete zu entdecken gibt. So gibt es zu jedem Mittagessen auch etwas aus dem eigenen Garten, mal sind es der Salat und die Tomaten, mal Mandioka. Das ist ein sehr leckeres Wurzelgemüse, das in Paraguay zu fast jedem Essen serviert wird und geschmacklich an Kartoffeln erinnert.

Unsere Hausklingel sind drei Hunde, die jeden Besuchenden zuverlässig melden und ganz unabhängig von der Stromversorgung funktionieren. Zuhause, in Deutschland, beobachten wir häufig Eichhörnchen im Garten, die durch die Bäume klettern. Hier haben wir Affen, die uns mit ihrer Kletterakrobatik erfreuen und zum Lachen bringen.

„Was ist deine Aufgabe auf der Einsatzstelle und wie sieht dein Alltag aus?“, werde ich oft gefragt. Nun, zurzeit ist es das Ankommen und Mitleben bei und mit den Schwestern. Ich bin die erste MaZ hier in der Kommunität. So müssen wir erst einmal gemeinsam herausfinden, wie und wo ich mich einbringen kann.

Die Tage starten in aller Regel mit einem gemeinsamen Morgengebet. Nach dem Frühstück stehen dann unterschiedliche Dinge im Fokus. Mal verarbeiten wir Lebensmittel, kochen sie ein oder trocknen sie. Bemerkenswert dabei ist, dass hier nichts leichtfertig weggeworfen wird. Selbst Samen werden gesäubert, getrocknet und sortiert, damit mit ihnen später neue Pflanzen gezogen werden können. Kerzengießen ist eine weitere Tätigkeit, die ich hier inzwischen gelernt habe.

Und wir feiern Geburtstage. Tatsächlich hatten in den ersten drei Wochen nach meiner Ankunft bereits zwei der drei Schwestern hier Geburtstag. Hinzu kam ein Geburtstag in einer befreundeten Ordensgemeinschaft. Es sind sehr schöne Anlässe, die mit viel Liebe zum Detail vorbereitet werden. Und es macht Spaß, sich im Feiern und in der gemeinsamen Freude kennenlernen und erleben zu können.

Regelmäßig begleite ich die Schwestern bei ihren Fahrten und Besuchen in die einzelnen Comunidades. Die Anlässe sind sehr unterschiedlich. Mal begleiten wir Ärzte, die zu Gesundheitsaktionen in die Gemeinschaften kommen. Mal sind es Veranstaltungen, in denen die Rechte bzw. die Unterwanderung der Rechte der Indígenas im Mittelpunkt stehen oder es sind Besuche, um gemeinsam zu beten oder Zeit miteinander zu verbringen. In der vergangenen Woche sind wir beispielsweise zu Schulen gefahren, um dort gemeinsam mit den Kindern Baumsetzlinge zu pflanzen und mit ihnen über Umweltschutz zu sprechen.

Viele Indígenas sprechen ausschließlich Guaraní. Das macht einen Austausch durch Sprechen für mich aktuell sehr schwer, denn weder die Worte noch die Grammatik von Guaraní ähneln einer der Sprachen, die ich bislang erlernt habe. Trotzdem bin ich selbst davon beeindruckt, wieviel sich auch ohne Worte transportieren lässt, durch Gesten, durch Lächeln, durch Mittun. Bei meinem allerersten Besuch in einer Comunidad hat es mich gefreut, zu spüren, dass es einfache Dinge gibt, die die unterschiedlichsten Kulturen miteinander verbinden: So hat ein Lächeln zum Beispiel ansteckende Wirkung, schenkt Freude und verbindet.

Nichtsdestotrotz bin ich darum bemüht, Grundlagen in Guaraní zu erlernen. So unbekannt wie die Sprache, so fremd ist für mich auch die Kultur der Guaraní. Ihr Denken, Handeln, Empfinden… es wird viel Zeit und Geduld brauchen, sich das zu erschließen. Aber: So habe ich in diesem Jahr auch die Chance, gleich zwei neue Kulturen kennenzulernen: die paraguayische und die der Guaranís.

Eine Sache habe ich bereits schnell gelernt: In beiden Kulturen spielt das Mate- und Tererétrinken eine wichtige Rolle. Tee, den man aus speziellen Bechern mit Strohhalmen trinkt und in Gruppen bei allen möglichen Alltagsaktivitäten miteinander teilt. So habe ich beispielsweise meinen ersten Mate während meines ersten Besuchs in einer Comunidad probieren dürfen. Schüttet man den Tee mit heißem Wasser auf, nennt man ihn Mate; trinkt man ihn kalt, wird er Tereré genannt. Ganz egal ob beim Spazierengehen, Kochen, Autofahren oder in den Comunidades…ein Mate oder Tereré Becher ist fast immer mit dabei und verbindet die beiden Kulturen.

Anlässlich dieses Rundbriefes habe ich heute lange intensiv in meinen Aufzeichnungen und der Fotogalerie auf dem Handy gestöbert und bin ehrlich gesagt selbst überrascht, wieviel ich bislang bereits erlebt habe und dass ich nun tatsächlich schon acht Wochen alleine in Südamerika lebe….und dies funktioniert. Hätte mir das eine Wahrsagerin vor zwei oder drei Jahren vorhergesagt, ich hätte ihr niemals geglaubt. Verrückt, wie sich das Leben entwickeln kann und toll, welche Perspektiven sich ergeben können!

Sophie