MaZ: Ankommen – im Einsatz und bei sich selbst

Welche multikulturellen Erfahrungen Luisa in ihren ersten Monaten als Missionarin auf Zeit in Chicago gemacht hat, schreibt sie in ihrem Rundbrief.

Auf der Suche nach Dingen, die ich in meinem ersten Rundbrief aus den USA erzählen könnte, war mein erster Anlaufpunkt natürlich mein MaZ-Tagebuch. Als ich mir die ersten Seiten von vor zwei Monaten, direkt nach meiner Ankunft, durchlas, war ich überrascht. Denn es fühlte sich fast ein bisschen an, als hätte eine andere Person diese Einträge geschrieben.

Dabei ist es doch erst wenige Wochen her, dass ich am 26. August im Provinzhaus der Steyler Missionsschwestern hier in Chicago angekommen bin. In diesem Haus, in dem vor allem die älteren Schwestern leben, habe ich meine ersten zwei Wochen in den USA verbracht. Dort wurde ich total herzlich empfangen und habe die älteren Schwestern so liebgewonnen, dass es sich jedes Mal ein bisschen wie nach-Hause-kommen anfühlt, wenn wir die Kommunität besuchen.

Obwohl ich dort eine sehr gute Zeit hatte, habe ich mich doch sehr gefreut, als ich nach zwei Wochen in „meine“ Kommunität im Chicagoer Viertel „Rogers Park“ umziehen konnte. Diese besteht aktuell aus neun Frauen: sieben Schwestern, eine Postulantin und ich. Ich war überrascht, wie viel Spaß das Kommunitätsleben macht. Da wir so viele sind, konnten am Anfang verschiedene Leute die Aufgabe übernehmen, mir ein bisschen die Gegend zu zeigen. So besuchten wir gemeinsam den Millennium Park und das Aquarium in der Downtown, den Lake Michigan oder den Bahá‘í Tempel, der in seiner Architektur alle Religionen vereinen soll. Aber auch in der Kommunität ist immer was los. So feiern wir gemeinsam Geburtstage, wie gerade erst den Geburtstag unserer Postulantin, helfen einander, schauen Filme oder kochen zusammen.

Die USA als Land sind bekanntlich, wie ein „All-in-One“ verschiedener Kulturen, was bereits hier in der Kommunität anfängt. Die Schwestern sind aktuell aus Vietnam, Indonesien und Fernost, was besonders eine der wichtigsten Sachen im Leben beeinflusst: das Essen. So habe ich das Essen mit Stäbchen mittlerweile nahezu perfektioniert und einige coole Rezepte dazugelernt. Dass ich kein Fleisch esse, haben die Schwestern sehr unproblematisch aufgenommen und geben sich große Mühe, immer so zu kochen, dass auch ich satt werde. Lediglich meine Versuche, eine der Schwestern zu überzeugen, es auch mal als Vegetarierin zu probieren, sind bisher im Sand verlaufen, aber ich habe ja noch ein Jahr Zeit. ;)

Manchmal führt diese Interkulturalität auch zu Missverständnissen: die lilafarbenen Schleifen z.B., die wir als Zeichen der Solidarität mit Betroffenen häuslicher Gewalt überall draußen aufgehängt haben, gelten in Vietnam als Zeichen, dass im Haus jemand gestorben ist. So könnten sie von den vietnamesischen Anwohner*innen missverstanden werden, ließen uns die vietnamesischen Schwestern wissen. Hängen gelassen haben wir sie trotzdem, als Zeichen, „dass die häusliche Gewalt hoffentlich bald stirbt“, um eine der Schwestern zu zitieren.

Es ist aber sehr bereichernd, einen Einblick in so viele verschiedene Kulturen zu bekommen. So hat es sich Sr. Paula aus Brasilien, die mittlerweile leider schon wieder in ihr Heimatland abgereist ist, nicht nehmen lassen, uns an einem Abend ein paar brasilianische Tänze zu zeigen. Dabei blieb es jedoch nicht, wir nahmen auch noch den Pinguintanz in unser Repertoire auf, und am Ende des Abends waren nicht nur unsere Beine und Arme trainiert, sondern vor allem auch unser Bauch vor lauter Lachen.

In meiner Arbeitsstelle, dem Holy Spirit Life Learning Center, begegne ich hauptsächlich Menschen aus Südamerika, die z.B. für einen der „English as a Second Language“-Kurse zum Center kommen. Ich war zunächst überrascht, weil die Menschen teilweise schon seit über zwanzig Jahren in den USA wohnen und trotzdem kaum Englisch sprechen. Schnell ist mir aufgefallen, dass die Menschen in der spanischsprachigen Community untereinander sehr gut vernetzt sind und sich gegenseitig helfen. Das erlebe ich in der Strickklasse, wo sich ausschließlich in Spanisch unterhalten wird, und ich dann meistens ziemlich hilflos dasitze und wenig bis gar nichts verstehe. Deswegen habe ich mir vorgenommen, Spanisch zu lernen, um besser mit den Leuten kommunizieren zu können. Auch für die Tanzklasse, die ich unterrichten darf, wäre das hilfreich, da die Teilnehmerinnen hauptsächlich Spanisch sprechen.

Jenseits der Erwachsenenkurse bin ich im Center morgens und abends für die Kinderbetreuung während der ESL-Kurse zuständig, wobei es jedoch aktuell kaum Eltern gibt, die ihre Kinder mit in das Center bringen. Etwas regelmäßiger kommen jedoch nachmittags drei Kinder, denen ich bei ihren Hausaufgaben helfe. Das fordert zwar manchmal meine Geduld, doch vor allem das Spielen am Ende, wenn alle Hausaufgaben erledigt sind, macht immer großen Spaß.

Am Samstag bieten wir Gitarren- und Klavierunterricht an, bei dem ich die Lehrer*innen unterstütze und gelegentlich sogar als Lehrerin einspringe. Die Arbeit mit den Kindern hat mich auf die Dynamiken in den verschiedenen Altersgruppen aufmerksam gemacht: die „High-School-Kids“ sind in der Regel ziemlich schüchtern in der Gruppe. Man muss erst mit ihnen warm werden und darf es nicht persönlich nehmen, wenn niemand antwortet oder sie aussehen, als würden sie lieber schlafen, anstatt ein Instrument zu lernen. Die Jüngeren dagegen sind meistens offener und aktiver, was aber mit eigenen Herausforderungen kommt, wenn sie z.B. kaum stillsitzen können. Ich habe gemerkt, dass es beim Unterrichten viel um Kreativität geht, wie man spontan auf bestimmte Situationen antwortet und ob man die Kinder dazu bringen kann, sich zu beteiligen.

Um ein bisschen unter Leute zu kommen, habe ich mich einer Jugendgruppe in einer der Gemeinden hier angeschlossen. Auch die Gemeinde ist kulturell sehr gemischt, weswegen es z.B. eine Messe nur auf Vietnamesisch gibt. Nach dem Besuch dieser Messe gibt es stets eine Party, zu der ich nun auch schon öfters eingeladen war. Da dort nur vietnamesisch gesprochen wird, verstehe ich zwar nichts, aber das Essen ist in der Regel sehr lecker, und am Ende wird stets gemeinsam aufgeräumt, was ich so aus Deutschland nicht kenne, wo meistens nur die Veranstaltenden zum Aufräumen bleiben. Mit der Jugendgruppe üben wir aktuell einen philippinischen Tanz namens „Tinikling“, bei dem man zwischen zwei Bambusstöcken, die im Takt aneinandergeschlagen werden, hin und her springt. Diesen werden wir auf der „Simbang Gabi“, einer philippinischen Tradition vor Weihnachten, vorführen, worauf ich mich schon sehr freue.

Allerdings ist es nicht immer so einfach, Freund*innen zu finden, wenn man in einer Schwesternkommunität wohnt und nicht allzu oft mit Gleichaltrigen in Kontakt kommt. Da muss man einerseits die Initiative ergreifen, wenn sich eine Möglichkeit ergibt. Aber noch viel wichtiger ist es, sich Zeit zu geben, anzukommen, Kontakte zu knüpfen und am Anfang nicht zu viel zu erwarten. Genau dafür bin ich eigentlich hergekommen, um mir ein Jahr Zeit zu geben, persönlich und im Glauben zu wachsen. Und das ist auch eine der Sachen, die ich gerade am meisten lerne: mir Zeit zu lassen, gut mit mir selbst umzugehen und dankbar auf die Erfahrungen zu schauen, die ich hier schon machen durfte und in Zukunft noch machen darf.

Dabei merke ich, dass ich langsam mehr bei mir selbst ankomme. Mir fällt auf: Ich habe mich nicht krass verändert in den ersten zwei Monaten hier, es war keine „andere Person“, die zu Beginn des Einsatzes in mein Tagebuch geschrieben hat. Ich bin einfach mittlerweile mehr im Einklang mit mir selbst und kann ein bisschen ehrlicher zu mir selbst sein, weswegen sich die Tagebucheinträge jetzt etwas anders lesen. Ich bin mir sicher, dass ich genau dasselbe Gefühl haben werde, wenn ich für den nächsten Rundbrief wieder in mein Tagebuch schaue, und im November anfange, zu lesen. Und das ist auch gut so, denn es zeigt, dass wir wachsen, langsam und manchmal in Wegen, die wir erst gar nicht erkennen, aber wenn man darauf zurückschaut, ist es umso schöner.

Luisa