Hier sind wir schon… Seit fast fünf Monaten bin ich außerhalb von Deutschland. Es fühlt sich auf der einen Seite viel kürzer, aber auch viel länger an. Die Zeit ist richtig schnell verflogen, aber auf der anderen Seite ist hier auch richtig viel passiert, was normalerweise nicht in fünf Monaten passiert. Aber erstmal von Beginn an.
Ich bin am 28.7.24 aufgebrochen nach Bolivien. Da mein Bruder im letzten Jahr auch in Bolivien war, haben wir die Übergangsperiode genutzt, um uns etwas Südamerika anzusehen. Nach dieser kleinen Expedition, für die ich echt dankbar bin, ging es für mich dann nach Cochabamba. Aber das war etwas heikler als gedacht.
Zunächst bin ich von Brasilien nach Bolivien geflogen. Genauer gesagt nach Santa Cruz. Da ich aber nicht in Santa Cruz arbeite, musste ich mit dem Bus nach Cochabamba weiterfahren. Dabei kam es zu einer Misskommunikation, ohne dass ich das wusste. Als ich am nächsten Morgen ausstieg, war mein Koffer auf einmal nicht mehr da. Er blieb nämlich in Santa Cruz stehen. Eine Mitarbeiterin der Busgesellschaft, die mir die Tickets verkauft hatte, hatte ihn mir abgenommen und ich hatte gedacht, dass sie nun dafür sorgen würde, den Koffer in den Bus zu bringen. Gott sei Dank konnte ich genügend Spanisch, um mich mit einer Arbeiterin der Busgesellschaft zu verständigen. Und nun habe ich meinen Koffer auch wieder. Aber das war zumindest ein kleiner Schreckmoment.
Danach, um mein Spanisch weiter aufzufrischen, habe ich zwei Wochen in einer Sprachschule verbracht, in der Carmen Vega Escuela. Die war so aufgebaut, dass man Einzelunterricht hatte und jeden Tag den*die Lehrer*in wechselt, da alle einen etwas anderen Stil haben. Dadurch waren aber noch viele andere Schüler*innen dort, mit denen wir uns schnell angefreundet haben. Gerade am Anfang haben wir viel miteinander gemacht. Auch waren wir zusammen auf dem Cristo. Es gibt einige, die diesen für größer halten als den in Rio. Ob das stimmt oder nicht, ist nicht besonders entscheidend. Auf jeden Fall ist er groß und die Aussicht ist grandios von diesem Ort.
Während dieser Zeit habe ich bei einer Gastfamilie gewohnt. Die gleiche Gastfamilie, bei der auch eine ehemalige Freiwillige (Fiona) war. Durch diese Beziehung und über meinen Bruder (der ein guter Freund Fionas ist), war ich auf ihrer Abschiedsfeier (kurz nachdem ich angekommen bin, ist sie gegangen) und habe dort schnell neue Leute kennengelernt. Vor allem Valmir ist ein sehr guter Freund von mir.
Nach der Gastfamilien- und Schulzeit ging es nun an die Arbeit. Wir arbeiten in der Fundación „Estrellas en la calle“. Diese besteht aus zwei Projekten. Das erste ist ein Projekt auf der Straße, bei dem es darum geht, Leute, die auf der Straße leben, wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Auch macht dieses Projekt Aufklärungsarbeit. Zum Beispiel sind wir zu einem Kinderdorf (von Kindern, die auf der Straße gewohnt haben) gefahren, um über die Themen Social Media und Sexting zu sprechen. Sexting steht für die Versendung pornografischer Inhalte und vor für den Kontrollverlust, den man nach dieser Versendung hat. Gerade der erste Punkt ist häufig nicht so einfach, da einige gar nicht erst die Straße verlassen wollen oder häufiger zurückfallen.
Das zweite ist ein Projekt mit Kindern aus vulnerablen Verhältnissen. Das oberste Ziel in diesem Projekt ist es, dass die Kinder Selbstvertrauen aufbauen und für sich selber herausfinden, was sie gut können. Die Kinder sind echt top. Es gibt zwei Gruppen:
Eine sind die Acht- bis Zwölfjährigen und eine andere sind die 13-17-Jährigen. Die Jüngeren sind sehr anhänglich und liebevoll. Aber natürlich auch anstrengend, da sie sehr viel Energie haben. Aber im Allgemeinen hören sie auf dich. Die 13-17-Jährigen sind teilweise etwas schwierig, da sie genau in dem Alter der Pubertät sind und auch relativ viel am Handy sind. Zusätzlich haben sie Konzentrationsschwierigkeiten. Ich würde davon ausgehen, dass Social Media hier nicht besonders geholfen hat. Die meiste Zeit arbeite ich mit den Älteren zusammen. Dabei geht es um Hausaufgabenbetreuung, zuhören, aber auch eigenen Unterricht vorbereiten. Eigenen Unterricht vorbereiten, stellt sich als nicht so leicht heraus. Die Kinder lernen hier weniger theoretisch, sondern viel dynamischer. Diese Art von Unterricht hatte ich seit zwölf Jahren nicht mehr und mein erster theoretischer Approach ging etwas in die Hose. Ich habe ihnen versucht Englisch zu unterrichten ähnlich wie ich mir Spanisch beigebracht habe. Das hat aber nicht geklappt und nun bin ich dabei, dynamischeren Unterricht zu erstellen.
Auch hatte ich schon einige Mathenachhilfestunden. Dabei musste ich einem kleinen Mädchen die Division und Gleichungen beibringen. Vor allem bei den Gleichungen war es schwierig, weil jede Person es erst durch eine andere Erklärung verstanden hatte. Da habe ich mir teilweise gedacht: "Warum verstehst du das nicht? Das ist doch so einfach." Aber das hat natürlich nur bedingt geholfen.
Eine weitere Idee ist es, ihnen das Programmieren beizubringen. Aber wie ich dies dynamisch machen kann? Keine Ahnung. Und Programmieren oder zumindest die Logik dahinter zu verstehen, ist auch nicht ohne. Im dritten Projekt lernen die Kinder klassische Instrumente und machen dabei auch Aufführungen. Das ist echt beeindruckend und ich bin immer wieder stolz sie zu sehen.
Vor Kurzem gab es ein Weihnachtskonzert und sie haben es geschafft, dass ich (zumindest für einen kurzen Zeitpunkt) in Weihnachtsstimmung kam. An einigen Tagen in der Woche sind die Kinder nicht im Projekt. Da bereiten wir dann Unterricht vor oder arbeiten im Office oder basteln etwas. Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich schon immer ein leidenschaftlicher Bastler war - nicht. Aber es wird besser, auch wenn dieser Teil des Projektes mir nur bedingt Spaß macht.
Vor allem jetzt in der Weihnachtszeit ging es darum, so viel vorzubasteln und vorzubereiten wie möglich. Am 18.12. haben wir nämlich eine große Weihnachtsfeier mit den Kindern veranstaltet, bei denen auch die Eltern vor Ort waren. Diese kennenzulernen, war echt gut, um die Situationen der Kinder besser zu verstehen. Da jetzt das Jahr vorbeigeht, haben einige Kinder nun ihre Schule beendet. Auf der Abschlussfeier von Valmirs Schwester war ich auch dabei.
In der Freizeit kenne ich nun schon einige Personen. Sowohl Bolivianer*innen als auch Freiwillige. Dabei hat mir echt geholfen, dass ich einige Personen kannte, die vorher schon in Cochabamba waren. Vorrangig natürlich Mika (mein Bruder) aber auch noch andere. Die Kontakte bzw. die Empfehlungen habe ich aufgesogen, wie kein zweiter und dass ich Spanisch konnte, hat in diesem Fall auch echt geholfen. Jeden Dienstag ist ein Treffen von Leuten aus unterschiedlichen Kulturen. Das nennt sich Tándem, bei denen ich mich jedes Mal mit vielen neuen Leuten unterhalte. Dadurch konnte ich schnell einen Freundeskreis aufbauen. Über Valmir im Konkreten habe ich viele neue Leute kennengelernt. Zum Beispiel durch Geburtstagsfeiern.
In meiner Freizeit versuche ich jetzt sehr neue Dinge auszuprobieren. Ich gehe in einen Salsa Kurs. Das ist echt nett, obwohl ich noch nicht besonders gut bin. Glücklicherweise habe ich noch die Ausrede, dass ich Deutscher bin und mir deswegen das natürliche lateinamerikanische Tanz-Gen fehlt. Aber es wird besser und besser. Leider mache ich es nicht so häufig wie ich es sollte.
Aber nicht alles ist nur top. Auch wenn die bolivianische Küche super ist (zwar nicht für Vegetarier), habe ich mir hier eine Lebensmittelvergiftung zugezogen. Aber ich war in einem guten Krankenhaus für drei Tage, das sich gut um mich gekümmert hat. Das erinnerte an "europäische Standards". Allerdings war klar, dass sich das natürlich nicht jede*r leisten kann. Ein guter Freund hat mich im Krankenhaus besucht und auch über die Unterschiede zu einem normalen Krankenhaus gesprochen. Ein guter Bekannter von ihm ist gestorben, weil sie im öffentlichen Krankenhaus keine Grundausstattungen mehr hatten. Danach hat er mich nach Hause gefahren und mit mir eingekauft und gekocht. Ich darf nämlich (immer noch) nur die dieta blanca essen. Das ist das ungenießbarste Essen, was ihr euch vorstellen könnt. Als ich mich bei ihm für all seine Hilfe bedanken wollte, meinte er nur: "All good. Friends are the only family You have when You are in another country."
Nur die Weihnachtszeit ist etwas traurig und ich vermisse Deutschland sehr. Klar ist es hier auch schön, aber jetzt merke ich schon, dass ich meine Familie vermisse. Also um nochmal abzuschließen: Mir geht es echt gut und sowohl die Arbeit ist spannend als auch die Freizeit mit den unterschiedlichen Leuten zu verbringen. Obwohl ich auch etwas Angst vor meiner Entwicklung hier habe. Ich war hier jetzt schon häufiger wandern… Wandern? Und sogar freiwillig… Und vor Kurzem war ich in einem Theater... Naja, ich werde das weiterhin beobachten...
Jona