In dieser Zeit ist so viel geschehen, dass es manchmal immer noch unwirklich scheint, hier zu sein und doch bin ich wirklich angekommen. Die Sprache, die Verkehrsmittel, das Essen, die Geräusche, alles ist zur Normalität geworden. Trotzdem ist mein Leben hier nicht langweilig oder eintönig und mein Alltag gar nicht unbedingt alltäglich. Immer wieder finden Ereignisse oder Begegnungen statt, die jede Woche besonders machen. Das können recht banale Dinge sein, wie zum Beispiel Kinder im Kindergarten, die anfangen zu sprechen oder Jugendliche im Comedor, die mir bei der Arbeit helfen möchten. Es gibt aber natürlich auch sehr viele größere Ereignisse, auf die ich mich immer besonders freue. Ein großes Fest in der letzten Zeit war das Fest des Schutzpatrons unserer Pfarrei, nämlich Johannes der Täufer am 24. Juni. Zu diesem Anlass wurden viele Tänze und ein Theaterstück aufgeführt, richtig viel zu Essen angeboten, und es gab auch eine Verlosung. Mit der Jugendgruppe, in der ich Mitglied bin, haben wir sogar in der Messe zum Gloria getanzt, was eigentlich ziemlich cool war, auch wenn ich anfangs etwas Angst davor hatte. Hier werden beim Tanzen die Füße und die Hüfte nämlich ganz speziell bewegt (Zapateo heißt das), was ich immer noch nicht hinbekomme, aber glücklicherweise niemanden gestört hat.
Mit dieser Jugendgruppe nehme ich auch an einigen anderen größeren Ereignissen teil, die extra für Jugendliche des Vikariats angeboten werden, also aus bestimmten Pfarrgemeinden kommen. In der Fastenzeit, zu Ostern oder auch mal zwischendurch für eine Messe: Diese Treffen finde ich einfach großartig! Eine Mischung aus inhaltlichen Themen, Gebeten, Musik und Tänzen, die richtig viel Spaß macht. Darin durfte ich die Kraft des Glaubens kennenlernen: So viele Menschen kommen zusammen, geeint durch ihren Glauben, sodass neue Bekanntschaften oder sogar Freundschaften entstehen können, dass man über Themen nachdenkt, die zuvor vielleicht keine so große Rolle gespielt haben und dass man eine wirklich tolle Zeit verbringt. Besonders gefällt mir dabei, dass es viele Lieder und Tänze gibt, die inhaltlich gut zum Thema Anbetung, Gott oder anderen kirchlichen Aspekten passen. Anfangs kannte ich das natürlich alles noch nicht, aber mittlerweile mache ich die Tänze voller Begeisterung mit. Dieser kirchliche Rahmen gefällt mir ziemlich gut, sodass sich auch mein eigener Glaube deutlich verstärkt hat und mich jetzt jeden Tag mehr stärkt. Die Teilnahme an Messen oder auch die Gebete gehören für mich einfach dazu. Die Mitbeten-Säule hat einen ziemlich großen Platz in meinem Leben als MaZ eingenommen, was wirklich eine Bereicherung ist, auf die ich nicht mehr verzichten möchte.
Aber auch die anderen Säulen von MaZ haben viel Einfluss auf mein Leben, wobei einige Male auch die Grenzen verschwimmen. Mein Mitleben zum Beispiel ist ein Eintauchen in die Lebenswelt hier in Bolivien, was ich besonders beim Mitarbeiten im Comedor bemerke. Die wirtschaftliche Lage im Land wird immer schwieriger, was nicht selten ein großes Gesprächsthema beim Gemüseschneiden ist: Viele Menschen können sich einige Lebensmittel und damit eine ausgewogene Ernährung einfach nicht mehr leisten, da die Lebensmittel immer teurer werden. Das merke ich oft, wenn ich mit einer der Schwestern zum Einkaufen fahre. Die Preise schwanken und häufig fragen wir uns durch, bis wir ein gutes Angebot finden und manchmal gibt es auch einfach nicht alles, was wir suchen. Mit vielen der Lebensmittel fahren wir dann ins Gefängnis, da wir sowohl für die Kommunität als auch für den Kindergärten einkaufen.
Im Kindergarten ist der Schwerpunkt meines Mitarbeitens. Ich unterstütze die Erzieherinnen und mache mit den Kindern verschiedene Aufgaben. Die Kinder in meiner Gruppe sind drei bis sechs Jahre alt und lernen bereits zu lesen und zu schreiben, was mich manchmal wirklich herausfordert. Umso schöner ist es dann, wenn sie es verstehen und richtig lesen. Nach dem Mittagessen habe ich die Gelegenheit etwas mit den Kindern zu toben und spielerischer mit ihnen umzugehen, was oft ziemlich witzig ist.
Mein Mitarbeiten findet auch im Comedor statt. Manchmal sogar samstags, wenn wir gemeinsam Empanadas zum Verkaufen machen. Ich werde zwar immer besser, aber manche Teigtaschen bekommen manchmal leider Löcher, die ich dann flicken muss, was alle anderen aber immer super witzig finden. Solange alle ihren Spaß haben, dürfen sie auch gerne über meine Fehler lachen. Unter der Woche schneide ich dort Gemüse und werde dabei immer schneller, helfe beim Essenkochen und spiele nachmittags mit den Kindern Fußball. Das ist immer etwas sehr Schönes, weil ganz viele Altersgruppen gemeinsam spielen und keine Unterschiede gemacht werden, wir sind eine Gemeinschaft.
Gemeinschaften habe ich viele gefunden und wurde darin aufgenommen, sodass ich weniger auf einen engen Freundeskreis hier in der Stadt, sondern auf viele verschiedene Gruppen gekommen bin, die mein alltägliches Leben bereichern. Dazu gehören nicht nur die Menschen, die ich bei der Arbeit oder in der Kirche treffe, sondern auch in meiner Freizeit, wie wöchentliche Treffen mit einigen Bolivianer*innen, die Deutsch lernen oder Treffen mit anderen Freiwilligen, die ich auch schon besuchen und in ihre Projekte reinschauen durfte. Der Austausch mit anderen über ihre Erfahrungen ist wirklich toll, was ich auch bei unserem Zwischenseminar im Januar erfahren durfte. Es hilft, Erfahrungen zu teilen, besonders mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen. Darum ist es auch so schön, dass Elisabeth und ich hier gemeinsam gelebt haben, weil wir uns austauschen und wir einfach eine großartige gemeinsame Zeit hatten und jegliche Erfahrungen geteilt haben.
Besondere Erfahrungen waren zum Beispiel auch die Feiertage. Dabei natürlich nicht nur die landestypischen Feiertage, wie den Feiertag der Stadt Santa Cruz, der Tag der Flagge oder der Tag des Lehrers, den wir im Kindergarten gefeiert haben, sondern besonders auch die kirchlichen. Weihnachten und Ostern zum Beispiel habe ich im Gefängnis gefeiert. Mit großer Motivation haben die Inhaftierten dort die Messen vorbereitet, die wir dann gemeinsam mit einem Bischof gefeiert haben. Die Begeisterung aller war riesig und ziemlich mitreißend, sodass es gar nicht so schwierig war, getrennt von meiner Familie zu sein. Pfingsten dagegen habe ich mit einer Nachtwache und den Schwestern in der Pfarrei gefeiert, kleiner und nicht so enthusiastisch wie in Steyl, aber auch in einer Art und Weise schön. Fronleichnam war besonders toll: Vor der Kathedrale im Zentrum der Stadt wurde eine riesengroße Messe gefeiert, mit wirklich vielen Menschen, richtig vielen Priestern, ganz tollen Liedern und sogar Tänzen. Nach der Messe gab es eine Prozession durchs Zentrum, wobei an jeder Straßenecke eine kleine Band stand und Kirchenlieder gespielt hat. Die meisten davon kannte ich glücklicherweise schon und konnte daher super mitsingen. Gesang ist auch eine Art zu beten, um mit Gott ins Gespräch zu kommen, für mich bei der Prozession daher ziemlich perfekt.
Auch wenn besonders die Feiertage als Highlights angesehen werden können, ist für mich eigentlich mein ganzer Aufenthalt hier so bereichernd, dass das ganze Jahr, mit allen Schwierigkeiten und Glücksmomenten ein ganz besonderes ist. Ich bin dankbar, als MaZ hier sein zu dürfen, Erfahrungen zu sammeln, mich anderen Menschen bereitstellen zu können, mich selbst besser kennenzulernen und ganz besonders für jede einzelne Begegnung, die ich in all diesen Monaten machen durfte und mich bereichert haben.
Viele Grüße aus Santa Cruz
Marie