MaZ: Probleme in Deutschland vor Augen geführt

Elias hat fünf Wochen in der Mönchengladbacher Kommunität mitgelebt und sich auf seinen Einsatz als Missionar auf Zeit (MaZ) in Chile vorbereitet. In dieser Zeit hat er nicht nur das Leben in der Gemeinschaft kennengelernt, sondern gemeinsam mit Langzeitarbeitslosen die Straße gefegt. 

Elias (2.v.l.) unterwegs mit den Clean-ups

Ich sitze im Bulli – in grellorangener Arbeitsuniform. Um mich herum geht es wieder einmal um den Anstieg der Spritpreise, auch Heizen werde teurer. Und die Immobilien erst – unbezahlbar! Sogar die Preise für Butter verdoppelt. Das 250-Gramm-Päckchen oft teurer als 1,49 Euro. „Wer kann sich das denn noch alles leisten!“, meint frustriert einer neben mir. Ein anderer fügt hinzu: „Und die jungen Leute bringen nicht mal ihre Pfandflaschen zurück – denen geht’s noch zu gut!“ 

Die fast sieben Millionen Menschen in Deutschland, die soziale Mindestsicherung beziehen, darunter die 5,2 Prozent, die arbeitslos gemeldet sind, kannte ich fast nur aus den Nachrichten. Dass hinter den Zahlen Menschen mit ganz eigenen Geschichten stecken, durfte ich in Mönchengladbach erfahren, wo ich die vergangenen fünf Wochen verbracht habe. 

Einen besonders intensiven Einblick in das Thema Arbeitslosigkeit erhielt ich durch meine Mitarbeit bei den sogenannten Clean-Ups, die mit ihren zwei Bullis durch Mönchengladbach fahren und den Müll von Parkplätzen sowie vom Straßenrand aufsammeln. Die Clean-Ups sind ein Teil des Mönchengladbacher Volksvereins, dessen Ziel es ist, Arbeitslosen eine sinnvolle Beschäftigung zu geben und neue Perspektiven zu eröffnen. Ich wurde total herzlich von allen dort aufgenommen und schon nach einem Tag erzählten mir viele sehr offen über ihr Leben. Insbesondere fiel mir auf, dass bei (fast) jedem Thema zuerst die Fragen berücksichtigt wurden: Was kostet das? Wer bezahlt das? So denken zu müssen, merkte ich, raubt unglaublich viel Freiheit und Lebensqualität. 

Dennoch stellte ich andererseits auch fest, dass Arbeit viel mehr ist, als nur Geld zu verdienen. Obwohl die Clean-Ups für ihre Arbeit nur einen Euro pro Stunde erhalten, wirkten sie meist dankbar und zufrieden, in diesem herzlichen Umfeld arbeiten zu dürfen. Arbeit stiftet Sinn, Struktur und Gemeinschaft. In vielen Gesprächen merkte ich: Wer arbeitslos ist, fühlt sich leider häufig abhängig, hilfsbedürftig und teils sogar wertlos. Je nach Job kann man sich aber auch beim Arbeiten abgewertet fühlen, wie ich es selbst erlebte. So passierte es nicht selten, dass Autofahrer*innen rücksichtslos an uns vorbeirasten, obwohl wir doch dafür sorgten, dass ihre Straße sauber ist. „Die sind sich noch zu schade, für uns vom Gas zu gehen“, stellten die Clean-Ups dann frustriert fest. Dankbar waren wir hingegen immer für Leute, die uns etwa im Vorbeifahren den Daumen hoben und dadurch unsere Arbeit und letztlich so auch uns als Menschen wertschätzten. 

Wertschätzung ist wohl das Wort, was treffend das Zusammenleben in der Mönchengladbacher Kommunität der Steyler Missionsschwestern beschreibt. Die fünf Schwestern dort sind mir in ihrer Unterschiedlichkeit sehr ans Herz gewachsen. Das generationsübergreifende Miteinander empfand ich als unglaublich bereichernd. Besonders schön waren die gemeinsamen Mahlzeiten – nicht nur wegen des fantastischen Essens :-) Es war unglaublich interessant und oftmals auch sehr witzig, sich zu gesellschaftlichen Themen auszutauschen oder persönliche Erlebnisse zu teilen. Zum Beispiel erzählte Schwester Coelia viel aus ihrer Zeit in Indonesien, wo sie 37 Jahre verbrachte. 

Für mich war es sehr inspirierend, davon zu hören und es auch tagtäglich zu sehen, wie die Schwestern sich für eine Welt einsetzen, in der „die Kleinen groß werden“. Verbunden und bestärkt sind die Schwestern durch ihren festen Glauben, der ihnen eine große Freiheit und Gelassenheit schenkt – einen inneren Frieden und einen sehr positiven Blick auf das Leben. Für mich spürbarer Ausdruck dieses Glaubens war die harmonische und wertschätzende Atmosphäre bei den Schwestern, wie ich sie so vorher noch nie erlebt habe!  

Konkret setzen sich die Schwestern im Treff am Kappelchen, kurz TaK, für Menschen ein, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Der TaK befindet sich im selben Haus, in dem auch die Schwestern wohnen. Es geht im TaK in erster Linie darum, dass in einem Umfeld der gegenseitigen Achtung gute Gemeinschaft gelebt wird, die alle mitgestalten können. So gibt es ganz unterschiedliche kulturelle, kreative, religiöse und kulinarische Angebote. Jeden Mittwoch kommen zum Beispiel ca. 25 Menschen, die im TaK Kaffee trinken und Abendessen können. Oft habe ich die Leute im TaK bedient, habe gekocht oder mich einfach nett mit ihnen unterhalten. Mit der Zeit bin ich ein richtiger Teil der TaK-Familie geworden. Als ich dann im TaK verabschiedet wurde, merkte ich an den Vorschlägen mancher, mich einzumauern oder im Kühlschrank einzusperren, dass wir uns richtig lieb gewonnen hatten :-) 

Nach den letzten wunderschönen und erfahrungsreichen Wochen in Mönchengladbach und auch der Zeit auf der Fazenda bin ich unglaublich dankbar für diese neuen Einblicke. Mir ist viel stärker bewusst geworden, dass auch in Deutschland nicht alle Probleme gelöst sind – es ist gut gewesen, erst einmal ein bisschen mehr die Menschen und Zustände vor Ort kennenzulernen, bevor ich mich jetzt nach Chile aufmache, um wieder eine neue Seite dieser facettenreichen Welt kennenzulernen. 

Elias

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