MaZ: „Was nach Abenteuer klingt, ist hier Realität“

Johanna verbringt ihren Freiwilligendienst in Cochabamba (Bolivien). Schon in den ersten Wochen hat sie das Land und die Menschen lieben gelernt und dabei auch gespürt, wie dankbar sie für ihr Leben in Deutschland ist.

Johanna mit ihren Gasteltern, bei denen sie die ersten zwei Wochen verbracht hat, mit der Lagune von Cochabamba im Hintergrund.

Die ersten zwei Wochen hier in Cochabamba verbrachte ich in einer Gastfamilie und in einem Sprachkurs, um mein Spanisch aufzubessern. Diese Zeit hat mir anfangs sehr geholfen, um anzukommen. Meine Gastfamilie hat mich sehr gut aufgenommen und mir geholfen, mich zurechtzufinden. Sie zeigte mir zum Beispiel, wie man hier die öffentlichen Verkehrsmittel (Mikros und Trufis) nutzt und meine Gastmutter ist mit mir auf die Cancha gegangen. Die Cancha ist in Cochabamba ein großer Markt, auf dem man von Klamotten über Lebensmittel bis hin zu Bohrmaschinen wirklich alles bekommt. 

Inzwischen bin ich umgezogen und wohne zusammen mit Sarah, einer Mitfreiwilligen, in einem Studierendenwohnheim, das von den Josefsschwestern vermietet wird. Dort werde ich auch das restliche Jahr bleiben.Die Organisation, „Estrellas en la calle” (= die Sterne der Straße), in der wir arbeiten, ist eine private und gemeinnützige Organisation, die seit 2005 Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Familien, die unter schwierigen Bedingungen in Cochabamba leben, hilft. Dabei hat sie verschiedene Projekte aufgebaut. Darunter fallen Fénix mit Wayra und Coyera mit Wiñana.

Sarah und ich durften uns zuerst eine Woche lang gemeinsam Coyera ansehen. „Coyera“ bedeutet so viel wie „Freund*in“, was die Arbeit dieses Projektes auch schon ganz gut ausdrückt.
Das Projekt arbeitet direkt mit den Menschen, die kein Zuhause haben und somit auf der Straße leben müssen. Das Team, das derzeit nur noch aus zwei Personen besteht, da auch hier Corona große Spuren hinterlassen hat, plant Aktionen für die Gruppen auf der Straße und versucht somit, sie zumindest für eine Zeit lang ihren Alltag vergessen zu lassen. Alltag heißt hier für die Menschen, die auf der Straße wohnen, meist Autoscheiben putzen oder Kleinigkeiten auf der Straße zu verkaufen, um etwas Geld zu verdienen. Viele versuchen mit Drogen den Schmerz und die Kälte zu vergessen und das Leben irgendwie auszuhalten.Das Ziel dieses Projektes ist es, den Menschen zu helfen selbst ihre Fähigkeiten und Stärken zu entdecken und sie dazu zu ermutigen, sich für ein anderes Leben – jenseits der Straße – zu entscheiden.

Das Projekt Wiñana schließt daran an, da es so etwas wie eine Wiedereingliederungshilfe ist. Denjenigen, die nicht mehr auf der Straße leben wollen, wird geholfen, eine Wohnung und eine Arbeitsstelle zu finden. Anschließend beobachtet das Team durch regelmäßige Besuche und Gespräche, wie die Person damit zurechtkommt und bietet bei Bedarf verstärkt Hilfe an.

Die Woche in Coyera haben Sarah und ich mit den Mitarbeitenden verschiedene Gruppen auf der Straße besucht und an zwei Tagen Aktionen angeboten. Einen Vormittag holten wir mit dem Auto zwei Gruppen ab und fuhren zu einer Cancha (=Fußballfeld) und haben Fußball gespielt. Danach haben wir Blätter mit Buchstabensalat ausgeteilt, um die Gruppen nicht nur physisch, sondern auch geistig zu fordern. Es war erschreckend, wie schwer es manchen doch gefallen ist, sich zu konzentrieren und Wörter zu finden, was oft daran liegen kann, dass sich die Gehirnleistung durch den Drogenkonsum deutlich verschlechtert.

An einem anderen Tag sind wir mit einer weiteren Gruppe weit aus der Stadt rausgefahren in die Natur. Sie nahmen ihre Wäsche mit und in einem kleinen Bach wuschen sie ganz selbstverständlich sich und ihre Wäsche. Währenddessen haben die Mitarbeitenden mit ihnen Gespräche geführt. Ich konnte noch nicht so viel mitreden, es war jedoch sehr interessant und auch schockierend, was manche von ihnen über ihr Leben erzählt haben.

Wir haben Nudeln über offenem Feuer gekocht, damit die Gruppe etwas zu essen hat. Was sich anhört wie eine Erlebniswoche in Deutschland, ist hier leider für viele Menschen die Realität. Auch den Ort, wo die Gruppe wohnt, habe ich gesehen, als wir sie für den Ausflug abgeholt haben. Es war erschreckend zu sehen, dass sie sich zu fünft auf einem Grünstreifen mit hohen Kakteen aus Stöcken, Decken und Planen ihr „Haus“ gebaut haben.

Auch gibt es im Projekt Coyera einiges an Büroarbeit zu erledigen, so durfte ich wichtige Daten dokumentieren, wie zum Beispiel die Teilnahme an den Aktivitäten und für ein paar weitere Aktionen etwas vorbereiten. Wie einige von euch wahrscheinlich wissen, ist Büroarbeit eigentlich nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber das hier macht mir tatsächlich Spaß.

Nach dieser Woche haben wir beiden Freiwilligen uns noch das Projekt Fénix (=Phönix) anschauen dürfen. Dieses hat seinen Standort im Süden Cochabambas, dem ärmeren Teil der Stadt. Fénix arbeitet mit Kindern und Jugendlichen zwischen fünf und 18 Jahren, die aus schwierigen (Familien-)Verhältnissen kommen.  Das Projekt arbeitet präventiv, um zu verhindern, dass die Kinder von ihrem Zuhause fliehen und auch auf der Straße leben. Durch Hausaufgabenbetreuung, Therapien und Freizeitgestaltung bietet das Projekt den Kindern Hilfe, die Möglichkeit ihre Fähigkeiten zu entdecken und eine Zeit lang von ihrem Zuhause weg zu sein, in dem auch Gewalt zum Alltag dazugehören kann. Auch leistet das Projekt Aufklärungsarbeit für die Eltern und arbeitet mit den Schulen zusammen, die die Kinder besuchen. 2019 wurde das dazugehörige Projekt Wayra gegründet. Es ist ein Streichorchester, bei dem jedes Kind die Möglichkeit hat, ein Instrument zu erlernen und mitzuspielen.

In den zwei Wochen in Fénix konnte ich den Kindern oft bei den Hausaufgaben helfen oder mit ihnen spielen. Nicht immer war es leicht, auf Spanisch Schulinhalte zu erklären und oft habe ich auch gemerkt, dass die Schulen hier den Kindern bestimmte Sachen anders beibringen, als ich es von meiner Schule gewöhnt gewesen bin. Die Kinder sind mir jedoch in den zwei Wochen sehr ans Herz gewachsen, hatten große Geduld und wollten mir sogar ein paar neue Wörter auf Spanisch beibringen.

Manchmal hat man aber auch gemerkt, dass die Verhältnisse, aus denen sie kommen, nicht immer ganz einfach sind. So haben mir ein paar Kinder von schwierigen Situationen bei sich zu Hause erzählt und vor allem bei einigen der jüngeren Kinder, kann man durch ihre große Anhänglichkeit schließen, dass sie daheim nicht so viel Liebe erfahren und sie sie deswegen bei den Verantwortlichen im Projekt suchen.

Schließlich sollten Sarah und ich uns nach diesen drei Wochen der Kennenlernzeit der Fundación auf die Projekte Coyera und Fénix aufteilen, da wir nur in einem für ein Jahr arbeiten können, um sich ganz auf eines einzulassen, mehr zu verstehen und mehr mitarbeiten zu können. Ich hätte mich sehr gefreut, in jedem Projekt ein halbes Jahr zu arbeiten und dann dementsprechend zu tauschen, da mir wirklich beide sehr gefallen und ich von beiden Arbeiten gerne mehr Erfahrungen mitgenommen hätte. Jedoch verstehe ich auch, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis wir eingearbeitet sind, das ganze System, die Strukturen und Arbeitsweisen kennenlernen und verstehen und somit vollständig mitarbeiten können.Letztendlich arbeitet Sarah jetzt im Projekt Fénix und ich werde das Jahr in Coyera sein. Ich bin zufrieden damit und freue mich sehr endlich richtig anfangen zu können und mich auf das Projekt mit seiner Arbeit einzulassen.

Neben der Arbeit bin ich inzwischen einer Tanzgruppe beigetreten, die bolivianische Tänze anbietet. Das Training mit der Gruppe macht mir sehr viel Spaß und es gibt unglaublich viele verschiedene Tänze zu lernen. Ich hoffe somit auch, die bolivianische Kultur noch besser kennenzulernen.Insgesamt habe ich das Gefühl (und es wurde mir auch oft von Einheimischen gesagt), dass Bolivianer*innen gerne feiern. So zum Beispiel am Jahrestag von Cochabamba, am 14. September. Schon am Abend zuvor wird gefeiert und am Tag selbst haben die meisten Arbeiter*innen frei. Von Mittag bis in die Nacht gab es einen großen Umzug mit Musikgruppen, Vereinen, etc.

Eine weitere Feier, für die die daran glauben, ist die Koa. Sie findet jeden ersten Freitag im Monat statt und ist eine Feier zur Verehrung der Pachamama, der Mutter Erde. Auch in unserer Fundación findet diese spirituelle Zeremonie statt. Es wird ein kleines Feuer angezündet und man verbrennt bestimmte Pflanzen und symbolisch Gegenstände und Falschgeld. Da die Pachamama sowohl für das Gute als auch das Schlechte verantwortlich ist, erhofft man durch die Opfer, die man bringt, Böses zu vermeiden und dankt für das Gute, was geschehen ist und im kommenden Monat kommen mang.Ich durfte inzwischen schon zwei Mal bei der Verehrung mit dabei sein und muss sagen, dass ich diese Abende sehr gerne mag. Es tut gut, sich Zeit zunehmen, um nachzudenken, für was man dankbar ist und was man sich für die nächste Zeit erhofft. Zudem ist es für mich interessant, die Kultur so nah mitzuerleben und den Abend gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen der Fundación zu verbringen.

Die meisten Menschen hier in Cochabamba empfinde ich als sehr nett, aufgeschlossen, offen und herzlich. So nennt mich die Verkäuferin, bei der wir regelmäßig unser Brot holen, „amiga“ (=Freundin) und wedelt auch schon mit der Tüte und fragt: „Pan?“ Insgesamt fühle ich mich hier sehr wohl und habe mich in die Landschaft mit Bergen, Palmen und Papageien, die Höhe von über 3000 Metern, Essen und Mentalität der Menschen hier verliebt. Dass man hier das Wasser aus der Leitung erst abkochen muss, bevor man es trinken kann, die Wäsche mit der Hand wäscht und das Klopapier statt in die Toilette, in den Mülleimer geschmissen wird, ist für mich inzwischen schon zur Gewohnheit geworden.

Natürlich vermisse ich durch die Entfernung meine Familie und Freund*innen und merke durch diese Distanz nochmal verstärkt, wie viel sie mir bedeuten und wie wichtig sie mir sind.

Johanna

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