MBB Rom: Was ist eigentlich privat?!

Katharina ist derzeit als Freiwillige in unserem europäischen Auslandsprogramm „Mission Beyond Borders“ in Rom. In ihrem Rundbrief schreibt sie über ihre Arbeit in der Casa Famiglia, einer Einrichtung für Mütter und Kinder, und fragt sich, was Nähe mit uns macht.

Katharina mit Alessandro vor dem Centro Astalli, einem Ableger des Jesuiten Flüchtlingsdienstes in Rom

„Ach, mein, dein… das sind doch bürgerliche Kategorien“ , meint das kommunistische Känguru*. - „Mein, dein sind ziemlich seltene Kategorien”, kommt mir in den Sinn, wenn ich an die Casa Maria Teresa, die Einrichtung für Mütter und Kinder in Rom denke, in der ich unter anderem meinen Freiwilligendienst absolviere.

Jede Mutter schläft mit ihrem Kleinkind/ihren Kleinkindern in einem gemeinsamen kleinen Zimmer und teilt sich mit einer anderen Familie ein kleines Bad. Küche, Spielzimmer und Flur nutzen die drei bis vier Familien zusammen. Ihr Leben verbringen Mütter und Kinder die ganze Woche miteinander und mit den Hauptamtlichen, Freiwilligen, Unipraktikant*innen und Zivildiener*innen. Alles in allem eine bunte Mischung von Menschen zwischen 18 Monaten und 60 Jahren aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Der Rückzugsraum der Kleinfamilien ist dabei gering und so wird vieles gemeinsam durchlebt: Leben mit seinen alltäglichen, schönen und herausfordernden Momenten: gemeinsames Essen und Küche aufräumen, mit den Kindern spielen und sie ins Bett bringen, Weihnachten und Geburtstage feiern, das Warten während einer Schwangerschaft und auf Gerichtsentscheidungen, Suchen, Finden und Verlust des Arbeitsplatzes, Corona-Quarantäne.

In dieser Nähe zeigt sich für mich viel von dem, was für mich Menschsein und das Leben ausmacht, was es bunt, abwechslungsreich und schön macht: Miteinander, Beziehungen, Offenheit, Interesse, Internationalität. Faszinierend ist für mich, wie schnell die Kinder untereinander in Kontakt kommen, voneinander lernen und wie sie sich auch auf uns mit unseren jeweiligen Persönlichkeiten, Vorstellungen und Spielen einlassen. Spannend und herausfordernd finde ich, wie sensible heikle Themen und Fragen in diesem Setting wahrgenommen werden und auf den Tisch kommen. 

Sehr beeindruckt bin ich, wie offen nicht nur die Kinder, sondern auch die Mütter mit den vielen Menschen umgehen, die in ihr Leben kommen. Sie teilen mit uns ihre Geschichten und Kochkünste, gehen Beziehungen ein und vertrauen uns ihre Kinder an. Schließlich suchen sich die Mütter weder die Einrichtung mit ihren hauptamtlichen und freiwilligen Mitarbeiter*innen, noch ihre Mitbewohner*innen selbst aus. Zugleich lassen sie sich immer wieder auf Beziehungen auf Zeit ein, da entweder ihre Wohnzeit oder die Einsatzzeit der Mitarbeiter*innen endet.

„Sich immer wieder an die neuen Personen zu gewöhnen, mit ihnen alles zu teilen und das eigene Leben innerhalb der Regeln zu führen, die man befolgen muss“, findet Miriam, die mit ihrer Tochter seit eineinhalb Jahren in der Casa Famiglia wohnt, auch schwierig und anstrengend. Zugleich schätzt sie „die Vielfalt der Menschen, Traditionen, Speisen und Lebensstile“, die sie hier kennenlernt.

So bringt dieses einander ausgesetzt sein, auch große Herausforderungen mit sich: Die ganz unterschiedlichen Erfahrungen, Vorgeschichten und Voraussetzungen, die die Kleinfamilien aber auch wir mitbringen, die verschiedenen Bedürfnisse und Vorstellungen führen auf so engem Raum auch zu Diskussionen und Konflikten. Neben den Diskussionen, die viele wohl auch aus der eigenen WG und Familie kennen (Putzpläne, Kindererziehung und vor allem Aufmerksamkeit…) werden die Ressourcen und Möglichkeiten, die unterschiedlich verteilt sind, besonders sichtbar:
Welche sozialen Beziehungen (Familie, Partner*in, Freundeskreis), Bildung und Arbeitsmöglichkeiten sind vorhanden? Welche finanziellen Möglichkeiten hat die Kleinfamilie bzw. ihr enges Umfeld?

Mich beeindrucken die Lebensgeschichten sehr, in die ich in diesem Mikrokosmos Einblick bekomme, auch wenn der Beginn eine große Herausforderung war und ich einige Wochen gebraucht habe, um in dieser Einrichtung mit ihren Dynamiken so ganz anzukommen. Mittlerweile mag ich diesen Ort und die Menschen, die hier leben und arbeiten sehr, sehr gerne, auch wenn ich weiterhin einige Veränderungsvorschläge hätte (z.B. weniger Handyvideos, mehr selber singen...). 

Insgesamt ist es eine für mich sehr eindrückliche Erfahrung, in der ich mich selbst besser kennenlerne und die mir sehr viel Freude macht. Sie lässt mich darüber hinaus fragen, was ich eigentlich (nicht) brauche und macht mich (in einem positiven Sinn) demütig vor dem, was Leben ist und mit sich bringen kann.

Alles, alles Liebe und Gute aus Rom! 
Katha(rina) 

*Kling, Marc-Uwe, Die Känguru-Chroniken, 1. Aufl. 2009, S. 23

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