Seelsorge im Zeichen der Pandemie

Sr. Annette Fleischhauer arbeitet als Seelsorgerin in einem Berliner Frauengefängnis. Seit der Corona-Krise haben Gespräche zwischen „Tür und Angel“ eine besondere Intensität bekommen.

Als es vor einigen Wochen durch das SARS-CoV-2 auch im Gefängnis zu immer mehr Einschränkungen kam, dachte ich: Was wird aus unserer Seelsorge? Dürfen wir weiterhin kommen? Um ein Infektionsrisiko zu reduzieren, wurden Gottesdienste und Freizeitangebote verboten, die Inhaftierten dürfen keinen Besuch mehr bekommen, viele wurden entlassen und es gibt kaum Neuaufnahmen.

Dadurch hat sich auch meine Arbeit verändert. Wo ich vorher zielgerichtet umhergegangen bin, um Anfragen nachzukommen, bleibe ich jetzt schon mal irgendwo stehen, wenn es sich ergibt. So kommt es zu einem längeren Gespräch, ungeplant, zwischen Tür und Angel. Ich habe mehr Zeit für Einzelne, die Kontakte sind intensiver. Ich nehme auch solche Frauen wahr und habe Zeit für die, die sonst eher „unsichtbar“ sind, weil andere im Mittelpunkt stehen.

Intensivere Kontakte bedeuten Teilnahme an Freude und Leid. Frau S., 26 Jahre alt, begleite ich seit Monaten. Ihren achtjährigen Sohn hat sie seit einem halben Jahr nicht gesehen. Seit Kurzem erlaubt ihr das Jugendamt ihn anzurufen. Sie hat Drogenprobleme und hatte gehofft, einen Teil ihrer Strafe als Drogentherapie machen zu können. Neulich – an ihrem Geburtstag – kam ich in ihre Zelle und es war ein großes Durcheinander. Die Hoffnung auf eine Therapie war zerplatzt.

Statt eines Gottesdienstes haben meine protestantische Kollegin und ich vor einigen Wochen ein Gebetsblatt für Interessierte verteilt. Wir haben eingeladen, zu einer bestimmten Zeit, jede in ihrer Zelle und wir zu Hause, ein Gebet zu sprechen. Vielleicht eine Chance, doch von irgendwoher Mut und Kraft zu bekommen.

Sr. Annette Fleischhauer