Solidarität für Mensch und Tier

Das diesjährige Erntedankfest stellt Sr. Ida Haurand in den Kontext der Pandemie und der Papst-Enzyklika „Laudato Si“ und regt in ihrem Impuls dazu an, wie wir in diesen Zeiten Gott für seine Früchte danken können.

In Deutschland wird das Erntedankfest seit fast 50 Jahren am ersten Sonntag im Oktober gefeiert. Doch die Geschichte des Festes reicht weit zurück: Bereits im Buch Genesis wird berichtet, dass Kain Früchte des Feldes darbot und sein Bruder Abel Erstlinge seiner Herde für Gott opferte. Im späteren Judentum gab es dann zwei Erntefeste: das Getreide-Erntefest und das Laubhüttenfest als Wein- und allgemeines Erntedankfest. In der Kirche gibt es das Erntedankfest seit etwa dem 3. Jahrhundert.

In diesem Jahr feiern wir Erntedank nicht wie gewohnt – wir befinden uns inmitten einer weltweiten Pandemie. Wer hätte sich das im letzten Jahr vorstellen können?
Wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, fallen mir gleich mehrere Ereignisse auf: Wir befinden uns im fünften Jahr nach dem Erscheinen der Enzyklika „Laudato Si“ und ebenfalls im fünften Jahr seit der Verabschiedung der Agenda 2030 mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Beides sind wichtige Dokumente, die wegweisend für mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit auf der Erde stehen.

Die Realität zeigt uns gerade sehr direkt auf, wo Baustellen auf unserer Erde liegen: Der amerikanische Kontinent wurde in diesem Jahr von zahlreichen Waldbränden erschüttert, die häufig mit dem Ausbau landwirtschaftlicher Flächen zusammenhängen. Auch in Deutschland nimmt das Waldsterben rasant zu, hier zeigt sich, dass der Klimawandel auch uns nicht mehr verschont. Landwirt*innen haben in diesem Jahr große Hitze und zu wenig Regen beklagt. Gleichzeitig mussten viele bäuerliche Betriebe, bedingt durch die Pandemie, um billige Erntehelfer*innen aus dem osteuropäischen Ausland kämpfen, um ihre Ernte überhaupt einfahren zu können. Die zahlreichen Corona-Infektionen im Fleischbetrieb Tönnies haben uns vor Augen geführt, welch grausame Verhältnisse in unserer Lebensmittelbranche herrschen. Menschen, die wie Tiere behandelt werden und Tiere, mit denen wie mit billigen Konsumgütern umgegangen wird.

Ich glaube, wenn wir an diesem Wochenende Gott für die Früchte unserer Erde danken, dann müssen wir uns auch vor Augen führen, wie schlecht wir mit dieser doch so fruchtbaren Erde umgehen. Ehrlich gesagt, habe ich den Eindruck, dass es schon ein bisschen paradox ist, wenn wir einerseits Gott für die Früchte seiner Erde danken und gleichzeitig Fleisch- und Milchprodukte aus konventioneller Landwirtschaft konsumieren, im vollen Bewusstsein, dass damit Mensch und Tier unvorstellbares Leid zugefügt wird.

Letztendlich bleibt ein Gefühl der Ohnmacht, dass nicht allzu selten in Ignoranz endet.
Während der Pandemie haben wir gelernt, dass es möglich ist, unseren Alltag gut zu gestalten, wenn nicht nur Partikularinteressen verfolgt werden, sondern Umsicht und gegenseitige Rücksichtnahme zum täglichen Miteinander gehören.

Die Corona-Pandemie hat damit wesentliche Aussagen von „Laudato Si“ bestätigt; unsere Gesellschaft ist fest ineinander verwoben und wir sind abhängig voneinander. Altruismus ist plötzlich keine Randerscheinung mehr, sondern gehört mittlerweile für viele Menschen zum Alltag. Es geht also.

An diesem Erntedankfest ist vieles anders, deswegen finde ich, dass wir in diesem Jahr mit Demut an die Menschen denken sollten, auf deren Kosten viele unserer ganz alltäglichen Lebensmittel produziert werden. Vielleicht schaffen wir die Solidarität, die durch die Corona-Pandemie innerhalb der Bevölkerung entstanden ist, auch auf andere Bereiche auszuweiten und so, ganz konkret durch unser Handeln, Gott für die reichen Früchte seiner Erde zu danken.

Sr. Ida Haurand