Stummes Leid

Im Osten Indonesiens ist häusliche und sexuelle Gewalt weit verbreitet. TRUK-F, eine Steyler Hilfsorganisation, betreut die Opfer. Sr. Fransiska Imakulata leitet das Frauenhaus, das seit 25 Jahren gegründet worden ist.

Sr. Fransiska kümmert sich um die Mädchen und Frauen, die von sexueller Gewalt betroffen sind.

Uny schweigt. Sie lächelt schüchtern, schüttelt den Kopf, will mir nicht antworten. Dann verbirgt sie ihr Gesicht in den Händen und weint. Etwa 11.000 Kilometer trennen mich von dem 17-jährigen Mädchen, das seine glatten, schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat. Ich kann es nur auf meinem Laptop-Bildschirm sehen – und fühle mich hilflos. Ich wollte es nicht in die Enge treiben, möchte es auch nicht weiter bedrängen. „Wie bist du zu TRUK-F gekommen?“, das war meine vermeintlich einfache Frage.

Uny lebt seit zehn Jahren im Frauenhaus von TRUK-F, dem „Freiwilligenteam für die Menschen auf Flores“, einer Hilfsorganisation, die Steyler Schwestern und Missionare in Maumere auf der indonesischen Insel Flores vor 25 Jahren gegründet haben. Sie setzt sich ein für Mädchen und Frauen, die Opfer von physischer, seelischer und sexueller Gewalt geworden sind. Eine der Schwierigkeiten dabei: Die Täter stammen meist aus der Familie oder dem nahen Umfeld. Aber auch Opfer von Menschenhandel werden von TRUK-F betreut.

Uny wollte mir eigentlich ihre Geschichte erzählen. Doch dazu fehlt ihr offensichtlich die Kraft. Schwester Fransiska Imakulata SSpS, die das Frauenhaus leitet, nimmt das Mädchen liebevoll in den Arm, während ich aus der Ferne zuschaue. Von Fransiska erfahre ich schließlich Unys Schicksal: Sie stammt aus einer sehr armen Kleinbauern-Familie, lebte bei der Großmutter, weil ihre Mutter auf die Insel Papua zog, um Arbeit zu suchen. Der Vater ist verschwunden.

„Als Uny sieben Jahre alt war, wurde sie vom Freund ihrer Schwester, einem Polizisten, sexuell missbraucht“, sagt Schwester Fransiska. „Nachbarn haben davon erfahren und uns benachrichtigt. Seitdem lebt Uny bei uns, hier ist ihr Zuhause. Es gibt sonst keinen, der für sie sorgen kann.“

Gewalt gegen Frauen, Missbrauch und Menschenhandel sind auch im Osten Indonesiens, wo die Insel Flores liegt, weit verbreitet. Die Armut der Bevölkerung, meist Kleinbauern, und die Diskriminierung von Frauen sind ein idealer Nährboden für diese Verbrechen (siehe das Interview rechts). Weil die Polizei sich kaum für sie interessiert und TRUK- F inzwischen sehr bekannt ist, wenden sich viele Betroffene oder ihre Familien lieber gleich dorthin. 2.262 Opfer wurden in den vergangenen 20 Jahren unterstützt. Das jüngste Mädchen war drei Jahre alt, die älteste Frau 69.

Im ersten Gespräch versuchen die Mitarbeiter*innen, die Hintergründe der Tat zu klären. Sobald klar ist, dass die Betroffene nicht nach Hause zurückgehen kann, wird sie ins Frauenhaus aufgenommen. In der Regel wohnen die Mädchen und Frauen etwa ein Jahr dort und bekommen psychologische Hilfe. Wer schwanger ist, kann länger bleiben. Es dauert, bis die Betroffenen über das, was ihnen widerfahren ist, sprechen können.

Sind die Opfer Kinder, versuchen die Helfer und Helferinnen, sie danach wieder mit ihrer Familie zusammenzubringen. „Das geht natürlich nur dann, wenn der Täter nicht mehr im selben Dorf wohnt – oder wenn er im Gefängnis sitzt“, sagt Schwester Fransiska. Und auch dann ist es nicht leicht. In einer Gesellschaft, in der Sexualität tabuisiert ist, müssen Scham und Schweigen überwunden werden. Sind die Familien zu arm, um ihr Kind wieder aufzunehmen, werden sie von TRUK-F finanziell unterstützt. „Wer niemanden hat, der ihn aufnimmt, bleibt bei uns.“ So wie Uny. Derzeit hat TRUK-F 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter zwei Anwältinnen, die den Opfern juristisch beistehen. Schwester Fransiska ist eine davon. „Alle Fälle werden juristisch verfolgt“, erklärt sie. Längst nicht immer erfolgreich, gerade bei körperlicher Gewalt. „Anders ist das bei sexuellem Missbrauch. Da sitzen alle Täter im Gefängnis von Maumere ihre Haftstrafe ab.“

Zurzeit leben im Frauenhaus 17 Frauen und Mädchen, darunter auch Babys und Kleinkinder. Trotz der schlechten Internetverbindung kann ich im Hintergrund manchmal ihr Lachen hören. Dank großzügiger Spenden, auch von unseren Leserinnen und Lesern, konnte TRUK-F ein neues Haus bauen, in dem ein großer Versammlungsraum und Büros untergebracht sind. Das alte Gebäude steht nun komplett den Bewohnerinnen zur Verfügung, die dadurch endlich mehr Privatsphäre gewonnen haben. Sicherheitskräfte beschützen sie, allein dürfen sie das Gelände nicht verlassen. Zu gefährlich.

Um fünf Uhr morgens beginnt der Tag, auch für Uny. Sie steht auf, feiert mit den anderen Bewohnerinnen in der Kapelle des Schwesternklosters die Eucharistie, frühstückt und geht mit sechs anderen Mädchen in die Schule nebenan. Derzeit besucht die 17-Jährige die zweite Klasse der Senior High School, was etwa unserer elften Klasse entspricht. Das alles erzählt mir Schwester Fransiska, während sie Uny immer noch im Arm hält. Neben der Schule bilden Mitarbeiterinnen die Mädchen und Frauen auch im Kochen, Nähen, Sticken und Blumenbinden aus, damit sie, wenn sie das Schutzhaus verlassen, auf eigenen Beinen stehen und Geld verdienen können.

In der Freizeit treiben die Mädchen Sport, tanzen oder baden im Meer. Ich kann mir gut vorstellen, dass Uny sich dort wohlfühlt. TRUK-F hat noch eine weitere wichtige Aufgabe: Die Hilfsorganisation versucht, die Bewohner von Flores für Themen wie Frauen- und Kinderrechte, Gleichberechtigung, sexuellen Missbrauch, Menschenhandel, aber auch HIV zu sensibilisieren. Dazu fahren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Dörfer, halten Vorträge, berichten von ihrer Arbeit mit den Opfern sexueller Gewalt, diskutieren mit den Bewohnern. Sie bilden zudem Polizisten und Religionsführer aller Glaubensrichtungen aus, sprechen im Radio, organisieren Kampagnen.

Ich hätte Uny gerne Fragen gestellt. Etwa, welche Pläne sie für ihre Zukunft hat. Doch ein Gespräch ist auch jetzt nicht möglich. Als ich mich vor dem Laptop von ihr verabschiede, lächelt sie wieder schüchtern – und winkt mir zu. Ein paar Tage später schreibt mir Schwester Fransiska, dass Uny zwar immer noch psychologische Hilfe brauche, aber schon enorme Fortschritte gemacht habe. Der Täter sei angeklagt und aus dem Polizeidienst entlassen worden. Und auch Unys Zukunftspläne erfahre ich nun. Sie möchte Psychologie oder Wirtschaft studieren.

Ulla Arens

Der Text ist in der Januarausgabe 2023 von Leben jetzt, dem Magazin der Steyler Missionare erschienen.