Abschied und Neuanfang

Sr. Maria Illich gehörte mehr als 20 Jahre zur deutschen Provinz und hat in dieser Zeit viele Menschen auf ihrem Weg begleitet. Für sie beginnt in Südtirol nun ein neuer Lebensabschnitt. In ihrem Brief blickt sie auf die Zeit in Deutschland zurück. 

Als ich im Jahr 2000 von Pairdorf nach Bötzingen ging, hätte ich nicht für möglich gehalten, dass ich nach 21 Jahren wieder nach Südtirol zurückkehren würde. Es waren verschiedenste Orte und Gemeinschaften, die ich in diesen Jahren kennenlernen durfte. Das Leben hat mich vertraut gemacht mit großen Höhen und Tiefen und lässt mich mit einer großen Dankbarkeit zurück. Ich erlebte eine große Offenheit seitens der Leitungen, die mir so vieles ermöglicht haben, was mein Leben mit einer großen Fülle ausgestattet hat und mein Wahlwort: „Ich will, dass ihr Leben habt, Leben in Fülle" (Joh 10,10) Wirklichkeit werden ließ.

Für mich ist es etwas ganz besonderes, dass mir das Leben – nach dem schweren Abschied von Sylt – ein unerwartetes Geschenk machte: mit der JETZT-GEMEINSCHAFT in München. Hier haben wir bis jetzt neun Jahre zusammengelebt als Frauen und Männer und als gemischte Gemeinschaft von SVD, SSpS und Missionsdominikanerinnen. Nie zuvor in meinem Leben habe ich so deutlich gespürt, wie sich etwas organisch entwickelte, ohne dass wir es am Anfang beabsichtigten. Auch hier habe ich Leitung als sehr unterstützend und wohlwollend erlebt, sodass diese neue Form des Zusammenlebens unter Schwestern und Brüder verschiedener Ordensgemeinschaften zustande kommen konnte.

Was ich in diesen neun Jahren erlebte, war ein Stück Urgemeinde: „Sie hatten alles gemeinsam"... - nicht in erster Linie die materiellen Dinge, sondern vor allem die ideellen. Wir teilten unseren großen Reichtum an Ideen, wenn wir miteinander beteten, unseren Glauben teilten wir in der Meditation des Wortes Gottes oder wenn wir Eucharistie in unserem Wohnzimmer feierten oder einfach im miteinander Schweigen. Wir erlebten eine große Kreativität, wenn es darum ging, miteinander zu feiern oder miteinander Freizeit zu gestalten.

Wir verzichteten auf eine Leitung, weil das tägliche Begegnen am Abend uns genügend Raum gab, Dinge zu besprechen, Entscheidungen zu treffen und entsprechende Umsetzungen zu finden. Vor allem war es auch die gemeinsame Zeit, die wir während Corona genießen konnten, viel miteinander lachten und uns erfahren ließ, dass uns nichts fehlte. 

Ein normaler Kalender diente uns dazu, miteinander das Leben in Gemeinschaft zu gestalten. Dazu brauchte es nur die Themenbereiche: Liturgie, Frühstück und Kochen und jede und jeder nahm das wahr, was sie und er im Moment gut konnte. Ich staune immer, dass dieses Miteinander nach neun Jahren immer perfekt funktionierte, und alle ihren Beitrag dazu leisteten. Unsere Verschiedenheit wurde uns zum Reichtum, wir lernten die verschiedenen Gaben jeder und jedes einzelnen zu schätzen und freuten uns über das unterschiedliche Essen und die Verschiedenartigkeit im Gestalten der Liturgie.

Wenn ich jetzt nach Südtirol gehe, dann weiß ich einerseits, wen und was ich verlasse, freue mich aber auch auf das, was vor mir liegt. Am liebsten würde ich auch unseren Namen mitnehmen: JETZT-GEMEINSCHAFT.

Ich gehe konform mit Hermann Hesse, wenn er sagt: „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne. Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen: nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen." Vielleicht mache ich es auch ein bisschen unserer Gründergeneration gleich, die Lebensmeister waren im Aufbrechen und stetigen Umbrüchen.

Nicht, dass es mir so leicht fiele zu gehen, aber ich fühle diesen inneren Anruf wie einen Auftrag, der noch auf mich wartet, ehe ich mich in den Ruhestand begebe. Ich liebe es, mit Menschen auf dem Weg zu sein und solange Geist und Körper gesund sind, will ich mich mit Freude in Dienst nehmen lassen. 

Unsere Gemeinschaft in Sterzing wird geschlossen, dafür werden wir in Brixen eine neue Gemeinschaft eröffnen, zu der ich dann gehören werde. Es heißt bei Hesse auch: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben." Ich bin oft umgezogen in meinem Leben und dieser Satz hat sich immer bewahrheitet. Ich bin sehr dankbar für alles, was in den vergangenen Jahren an Begegnung stattfinden durfte und bewahre so Vieles in meinem Herzen. 

All die Niederlagen, die es in diesen Jahren auch gab, sehe ich als wertvolle Stolpersteine auf dem Weg, die meine Arbeit mit Menschen wesentlich bereichert haben und mir auch gezeigt haben, dass es nichts gibt, was selbstverständlich ist. Mit Menschen auf dem Weg zu sein, ist das größte Abenteuer, das es für mich gibt, und dass mir das zuteil wurde, bedeutet mir das größte Geschenk in meinem Leben.

Sr. Maria Illich