Das Wunder der geheimnisvollen Gabe

Seit Oktober 2022 lebt Sr. Jessy Mary Paul in unserer deutschen Provinz. In ihrem Impuls zu Pfingsten hofft sie, dass wir alle noch Hoffnung in unserem Herzen tragen, und wünscht uns eine Pfingsterfahrung, wie die Jünger sie nach einer langen Zeit des Wartens erleben durften.

„Verlasst Jerusalem nicht, sondern wartet auf die Gabe, von der ich zu euch gesprochen habe" (Apg 1,4)

Wir alle tragen Erinnerungen in uns, die sich einbrennen, denn das Leben bringt eine Reihe von Ereignissen mit sich, die Spuren unterschiedlichster Gefühle hinterlassen. Nicht viel anders erging es den Jüngern und den Menschen, die Jesus nahestanden. Für sie waren Jerusalem und die erschütternden Ereignisse, die sich dort abspielten - Jesu Leiden, Kreuzigung und Tod - zu viel. Ihre Hoffnungen und Träume wurden zerschlagen und sie waren so enttäuscht. In diesem Zusammenhang sagt Jesus den Jüngern, sie sollen nicht weggehen, sondern „auf die verheißene Gabe warten".

Ist es leicht, auf einen Lichtstrahl zu warten, wenn man so lange von der völligen Dunkelheit lebensbedrohlicher Ereignisse umgeben war? Lohnt es sich, auf einen Ausweg zu warten, wenn man das Gefühl hat, von einem schwarzen Loch der Not und des Leids aufgesogen zu werden? Ist es vernünftig, dem Weg zu trauen, wenn man monatelang kein Zeichen des Ufers auf dem Ozean sieht, sondern von Unsicherheit und Angst getrieben wird? Vielleicht finden wir die Antwort in den Worten Jesu: „Geht nicht weg, sondern wartet".

Hoffnung ist der Mut, darauf zu vertrauen, dass wir immer noch den Blick auf den Regenbogen haben können, sie ist die Offenheit, in unsere persönliche Widerstandskraft einzutauchen, sie ist der Mut und die Gnade, in unserem eigenen „Jerusalem" - einem Ort des Verlustes - zu bleiben, sie ist die Demut, zu sagen, dass man jede Situation mit Gottes Gnade aushalten kann, sie ist das Vertrauen in einen Gott, der liebt, lacht und mit uns weint. Die Hoffnung eröffnet immer einen Bereich mit neuen und aufregenden Möglichkeiten. Mystiker*innen sagen, dass Gott einen Traum in uns träumt, wenn wir geboren werden. Aus welchem Grund auch immer Gottes Traum in uns gestorben zu sein scheint, er ist nie ganz verloren. Er kann immer zurückgewonnen werden. Ihm kann neues Leben eingehaucht werden. Jesus hauchte sie an und sagte: „Empfangt den Heiligen Geist" (Johannes 20,22).  Gibt es heute einen geheimen Traum in Ihrem Herzen?

Die Pfingsterfahrung veränderte unwiderruflich das Leben der Apostel und ihrer Anhänger hinter den verschlossenen Türen. Das Kommen des Heiligen Geistes über sie war eine echte Erfahrung. Sie hörten ein Geräusch vom Himmel, das sich wie ein starker Wind anhörte, und sahen Feuerzungen herabkommen, die auf jedem der Anwesenden ruhten. Als sie mit dem Heiligen Geist erfüllt waren, traten sie an die Öffentlichkeit, sprachen in Sprachen, die sie vorher nicht kannten, und gaben mutig Zeugnis von Jesus, der gekreuzigt wurde, auferstanden und aufgefahren ist. Eine neue Art des Seins und Handelns. Was für ein wunderbares Werk der verheißenen Gabe nach einem langen und harten Warten! Wie können wir heute die Pfingsterfahrung in unsere eigene Wirklichkeit übersetzen, inmitten der Realität von Krieg und anderen globalen Problemen, auf dem synodalen Weg der Kirche usw.?

Der Wechsel der Jahreszeiten gibt uns auch ein schönes Beispiel dafür, wie man sich von der Hoffnung leiten lassen kann. Als ich in Deutschland landete, war es Herbst und ich bemerkte, dass die meisten Bäume so farbenfroh wurden, dass ich mir wünschte, sie würden für immer so bleiben! Schließlich wurde ich Zeugin, wie sie alle Blätter abwarfen und den ganzen Winter über fast unfruchtbar und scheinbar leblos blieben. Jetzt im Frühling sehe ich, wie sie alle mit exotischen Blumen zum Leben erwachen und eine hypnotisierende Wirkung auf mich ausüben. Dieser rhythmische Wechsel der Jahreszeiten hat mich auf eine innere Reise von aufregenden und gesegneten Momenten über Zweideutigkeit bis hin zur Hoffnung geführt. Ja, der Sommer mit seiner Wärme und seinen verborgenen Schätzen wartet auf mich! Gott ist mit mir und euch noch nicht fertig! Er sagt uns, wir sollen 'auf das Wunder seiner geheimnisvollen Gabe warten'.

Wenn wir das Pfingstfest feiern, beten wir gemeinsam um die verheißene Gabe des Geistes Jesu:

Dass die heilende Weisheit in uns geweckt wird,

dass wir den zerbrochenen Träumen der Menschen um uns herum neues Leben einhauchen können,

dass wir die Freude und das Geschenk Gottes in all unsere Abenteuer tragen,

dass wir gemeinsam mit Gott eine neue Schönheit schaffen, um die Welt, in der wir leben, zu segnen und zu schmücken,

dass wir die pulsierende Anmut der inneren Freiheit, des Friedens und des Lichts besitzen und weitergeben,

dass wir lernen, inmitten von Spaltungen, Hass, unerwarteten Veränderungen, Ungerechtigkeit und Krieg zu warten,

dass wir mit Gottes Herz verbunden bleiben, das in unserem Herzen schlägt, mit seinem Geist, der sich in uns sehnt, sich bemüht und seufzt.

Gesegnetes Pfingstfest!

Sr. Jessy Mary Paul

 

Sr. Jessy Mary Paul kommt aus dem südindischen Bundesstaat Kerala und ist 2001 als studierte Lehrerin in die Kongregation eingetreten. Viele Jahre hat sie in der Formation gearbeitet und die jungen Menschen in ihrer Ordensberufung begleitet. Zurzeit lebt sie in unserer Gemeinschaft in Mönchengladbach und lernt Deutsch. „Ich freue mich über die Beziehungen zu den Menschen im TaK. Es macht mir Freude, Zeit mit ihnen zu verbringen, zu reden, zuzuhören, zu spielen, zu beten, zu essen.“