„Manche sagen: In Steyl ist heiliger Boden“

Wer mit einer Besuchergruppe nach Steyl kommt, wird wahrscheinlich Sr. Mechtilde Berger kennenlernen, die gerne und oft Führungen für Gruppen leitet. In einem Interview mit den Steyler Missionaren hat Sr. Mechtilde erzählt, was sie an Steyl und der Geschichte der Ordensfamilie fasziniert.  

Wie haben Sie zu den Steyler Missionsschwestern gefunden?
Ich bin 1938 geboren und habe eine lebendige Erinnerung an die schweren Nachkriegsjahre. Mit dem Lesenlernen habe ich mich schwergetan, aber als ich die Buchstaben zusammensetzen und lesen konnte, war nichts Geschriebenes mehr vor mir sicher. So habe ich durch die Steyler Zeitschriften „stadtgottes“ und „Jesusknabe“ sehr früh den „Steyler-Virus“ eingesogen. Ich wartete immer auf die nächste Ausgabe und liebte besonders die Missionsberichte. Diesen Berichten verdanke ich meine Missionsberufung, ja eine innere Sehnsucht. Ganz eindeutig. Ich habe immer an die Weite gedacht. Als Kinder sagten wir: ‚Wenn wir groß sind, gehen wir nach Argentinien.‘ Wir hatten keine Ahnung davon, aber das Wort war so schön. Dann eines Tages, als ich 15 oder 16 Jahre alt war, las ich im Michaelskalender, dass junge Frauen die Ausbildung zur Missionarin bei den Missionsschwestern machen könnten. Da hat es bei mir gezündet: ‚Da muss ich hin‘. Es war 1954, als ich nach Steyl in die sogenannte Kandidatur gekommen bin. Dort habe ich damals ein gut eingerichtetes klösterliches Leben kennengelernt und fand diese Jahre unglaublich schön, reine Glücksjahre. Vor allen Dingen, weil wir Mädchen auch eine richtige Ausbildung bekamen, eine Vorbereitung auf das Postulat und das Ordensleben.

Sind Sie denn auch in einem Missionsland gewesen?
Nee, ich war immer hier in Steyl. Ich habe im Laufe der Jahre hier unzählige Führungen gegeben. Man sagt mir, ich hätte die Gabe, lebendig zu erzählen. Was ich also hier tue, ist missionarische Information und Bewusstseinsbildung, das ist mein Missionsdienst. Ich habe viele internationale Kurse nach Goch und zu den Geburtsorten unserer Mitgründerinnen in die Eifel und nach Issum bei Kevelaer begleiten dürfen. Dabei habe ich so viele Schwestern aus der ganzen Welt kennengelernt, mehr, als in der sogenannten Mission möglich gewesen wäre. Die ganze Welt kommt zu uns ins Gründungskloster nach Steyl. Ich gebe den Besuchergruppen so viel Stoff mit, dass sie erfahren: ‚Steyl lohnt sich‘.

Was vermitteln Sie den ausländischen Schwestern, wenn sie nach Steyl kommen?  
Steyl hat einen großen Einfluss auf das Bewusstsein, dass wir alle die eine Berufung haben, als Missionsschwestern und Dienerinnen des Heiligen Geistes. Und hier die Gründungsstätte näher kennenzulernen, nenne ich gerne ‚die Steine sprechen lassen‘. Wenn jemand sagt, was ist denn in Steyl, nur ein großer Steinhaufen, wehre ich mich: ‚Nein, Steine sprechen lassen bedeutet, an den Ursprung zu kommen‘. Ich habe erlebt, dass eine Schwester, die ich vom Flughafen abgeholt hatte, sich hingekniet und den Boden geküsst hat. Ja. Das empfinden ganz viele so: Hier ist heiliger Boden. Hier ist der Heiliger Arnold gelaufen! Dann gehen sie mit Ehrfurcht den Weg und kommen in Berührung mit dem Ursprung. Und das können sie nur hier erleben. Es ist für viele Mitschwestern ein großer Wunsch, einmal nach Steyl kommen zu dürfen. Das bedeutet für uns auch eine innere Einheit. 

Sehen Sie Unterschiede in der missionarischen Ausrichtung der Steyler Schwestern und der der Mitbrüder in der SVD?
Ich interessiere mich sehr für die Geschichte des Ordens. Arnold Janssen hat schon in den ersten Konstitutionen und in einem Artikel im kleinen Herz-Jesu-Boten 1874 über das „Apostolat der Frau“ geschrieben. Seiner Meinung nach liegt die missionarische Stärke der Frauen in ihrer Fähigkeit zur Verkündigung an die Frauenwelt. Die Männer sieht Arnold Janssen neben der Verkündigung von Anfang an auch in der Forschung, in den Naturwissenschaften. Es war ja sein großes Anliegen, die Wissenschaften von Anfang an zur Stärkung der Missionsarbeit einzubeziehen. Bei den Frauen hat Arnold Janssen viel Wert auf die handwerklichen und hauswirtschaftlichen Arbeiten fürs Missionshaus gelegt, auf das Studium der Sprache und auf alles, was es brauchte, um als befähigte Lehrerin in der Mission wirken zu können. Schon 1895 hat er bei den Schwestern ein internes Lehrerinnen-Seminar eingerichtet. Für ihn war die Missionarin eine Lehrerin im weitesten Sinn.

Wie stehen die beiden Steyler Schwesternkongregationen zueinander? 
Die Anbetung war Arnold Janssen wichtig. Solange er lebte, waren wir alle drei Gemeinschaften: Steyler Missionare, wir Missionsschwestern und die Anbetungsschwestern unter seiner Leitung. Und danach gab der Bischof die Anregung: die Schwestern müssen selbständig werden. Und danach haben die Klausurschwestern angefangen, ihre eigenen Konstitutionen zu schreiben. Bis dahin hatten wir und die Rosa Schwestern ein und dieselben Konstitutionen. Das ist ein langsamer Loslösungsprozess voneinander gewesen, wie er auch in Familien vor sich geht. Die Anbetungsschwestern gründen auf dem, was Arnold Janssen für unbedingt notwendig hielt, die Mission müsse durch intensives anbetendes Gebet unterstützt werden. Es gibt Belege oder Zeugnisse, dass Arnold Janssen schon in den ganz frühen Jahren überlegt hat, die ewige Anbetung bei den Männern einführen zu wollen. Oder zumindest einen Tag in der Woche Anbetung oder eine Stunde in der Nacht oder so ähnlich, aber das musste er dann fallenlassen. Die Idee, dass eine anbetende Gemeinschaft da sein muss, die ist ihm geblieben, daraus sind dann die Klausurschwestern erwachsen.

Wie sehen Sie die Zukunft der „Steylerei“ in – sagen wir – 20 Jahren?
Wir Steyler werden so schnell nicht aussterben. Allerdings werden wir Europäer weniger. Und ich denke, wir müssen uns davon lösen, dass alles hier in Steyl und in Europa auch so weitergehen muss. Mich zu dieser Aussage durchzuringen, hat mich was gekosten, aber Mission – auch unsere Steyler Mission – ist nicht an einem Ort festgemacht. Mehr als ein Viertel unserer SSpS-Kongregation machen inzwischen indonesische Schwestern aus, gefolgt von den indischen Schwestern. Das heißt, Europäer spielen gar nicht mehr die Rolle. 

Findet man spirituelle Dinge nicht mehr so leicht im normalen Leben?
Vielleicht ist es einfach eine tiefe Sehnsucht, mit der Besucher hier in Steyl in Berührung kommen. Im Grunde verdanken wir das unserem Stifter. Der hat zwei Hände gehabt, mit denen er feste gearbeitet, aber genauso feste gebetet hat. Er war ein betender Arbeiter und er war ein arbeitender Beter. Diese Eigenschaften kann sich jeder Missionar und jede Missionarin aneignen.

Interview: Renate Breuer