MaZ: "Cochabamba – mein zweites Zuhause"

Seit ihrem letzten Erfahrungsbericht sind vier weitere Monate für Sarah als Missionarin auf Zeit (MaZ) in Bolivien vergangen. „Es ist viel passiert, ich durfte viele Erfahrungen sammeln und nenne die Stadt nun mein Zuhause“, sagt sie.

Sarah (l.) feiert Karneval fernab von Alaaf und Helau.

Ich arbeite weiterhin im Projekt Fénix der Fundación „Estrellas en la Calle“. Anfang Dezember haben hier die Sommerferien begonnen, doch das Projekt haben wir bis Weihnachten weiterlaufen lassen. In dieser Zeit haben wir mit den Kindern viel gespielt und gebastelt, die Zeit aber auch dafür genutzt, die individuellen Lücken im Unterrichtsstoff mit den Kindern aufzuarbeiten. Zu diesen Lücken gehörten zusätzlich zu großen Defiziten in Mathe und Englisch auch Dinge, wie das richtige Schreiben von Buchstaben und das Lesen. Kurz vor Weihnachten haben wir eine große Weihnachtsfeier mit den Kindern und deren Familien organisiert. Nach einer spielerischen Einführung, warum wir eigentlich Weihnachten feiern, und dass nicht die Geschenke, sondern die gemeinsame Zeit das Wichtigste ist, gab es ein gemeinsames Mittagessen. Im Anschluss gab es für die Kinder und Familien, die nicht alle dem christlichen Glauben zugehörig sind, noch Weihnachtsgeschenke. Die ganze Zeit lief Weihnachtsmusik und alles war weihnachtlich geschmückt. Das war bei Außentemperaturen von 26 Grad für mich sehr gewöhnungsbedürftig, aber im Endeffekt ließ die Stimmung dann doch das Gefühl von Weihnachten für mich aufkommen.
 
Von Weihnachten bis Anfang Februar war das Projekt dann aber wegen der Sommerferien für die Kinder geschlossen. Die Zeit ohne Kinder haben wir für viel Verwaltungsarbeit und Organisation genutzt. So hat sich das Team hinter Fénix zum Jahreswechsel um zwei Personen verkleinert und wir haben überlegt, wie wir diese Situation im neuen Jahr auffangen können. Inzwischen gibt es einen neuen Mitarbeiter, wodurch die Situation doch nicht so dramatisch wurde, wie zuerst befürchtet. Wir sind tagelang Listen durchgegangen, um die Inventur der ganzen Einrichtung zu machen. Dazu gehörte auch, dass ich mit einer anderen Freiwilligen von den Franziskanern ein Büchereisystem mit Nummern und Abkürzungen für die Bibliothek entwickelt und umgesetzt habe, sodass die Bücher endlich eine Ordnung bekommen haben. Zusätzlich haben wir einmal alle Räume neu organisiert und alles gründlich geputzt.
 
Anfang Februar hat Fénix wieder für die Kinder geöffnet, doch das habe ich gar nicht mehr wirklich mitbekommen, da ich bereits auf dem Weg zu unserem Zwischenseminar in Posadas (Argentinien) war, doch dazu später mehr. Nach meiner Rückkehr kam ich zurück zu Fénix und alles war schon wieder in vollem Gange. Ich betrat das Gelände und wurde direkt von ganz vielen Kindern umarmt und gefragt, wo ich denn gewesen sei und wieso ich nicht da gewesen bin. Einiges hat sich zum Vorjahr verändert, so zum Beispiel, dass manche Kinder nicht mehr zum Projekt kommen, dafür aber neue Kinder dazugekommen sind. So also auf ein neues Namenlernen. Eine weitere Umstellung war auch, dass sich die Zuständigkeiten der Mitarbeitenden geändert haben, sodass ich nun mit einer anderen Kollegin am engsten zusammenarbeite. Da es aktuell keine Praktikant*innen von der Universität Cochabambas gibt, die für die Anerkennung des Praktikums viele Aktivitäten mit den Kindern machen müssen, habe ich die Möglichkeit, mehr mit den Kindern zu arbeiten.

Welche Aktivitäten seitens des Projektes anstehen, ist im Voraus für ein Jahr geplant. So haben wir in den letzten Tagen zum Beispiel Aktivitäten und Einheiten zu Lernstrategien, Konfliktlösung und Gruppenstrukturen gemacht. Zusätzlich haben wir mit den Kindern Gemüse für den Eigenbedarf im Projekt angebaut. Diese Aktivitäten darf ich jetzt nicht nur mit vorbereiten, sondern auch aktiv mit den Kindern, sogar teils allein, durchführen. Für mich ist dies ein großes Lob, da ich weiß, dass die Mitarbeitenden des Projektes mir vertrauen und mir den Umgang, mit den nicht immer einfachen Kindern, zutrauen, wozu ein gewisses Durchsetzungsvermögen und eine Portion Strenge erforderlich sind.
 
Da die ganze Fundación die ersten zwei Januarwochen geschlossen war, mussten wir uns für die Zeit auch Urlaub nehmen. Diese zwei Wochen zwischendurch waren sehr erholsam und man konnte endlich mal alles erledigen, was man zuvor immer aufgeschoben hatte, weil die Zeit für all das, was man hier gerne erleben möchte, einfach nicht ausreicht. So war ich zum Beispiel für vier Tage mit Freund*innen im Urlaub am Salar de Uyuni (größte Salzwüste der Welt in Bolivien).
 
Was ich hier immer wieder neu lerne, ist, dass meine Zeit hier begrenzt ist und ich sie nach meinen Möglichkeiten in vollen Zügen ausnutzen möchte. Dazu zählt für mich aber auch ganz eindeutig, dass ich mir auch bewusst Zeit für mich selbst nehme, wenn ich diese gerade brauche. Auf mein eigenes Wohlbefinden und meine Bedürfnisse zu achten, ist auch eines der Dinge, die ich für mich und über mich in meinem MaZ-Einsatz lernen darf.
 
Mitte Februar hatten wir unser Zwischenseminar in Posadas – Argentinien. Die dreitägige Fahrt dahin haben Johanna und ich mit verschiedensten Reisebussen über Paraguay angetreten. Beim Seminar waren wir insgesamt 17 Freiwillige mit Einsatzorten in Bolivien, Paraguay, Argentinien und Brasilien von verschiedensten Organisationen. Hier gab es die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten in ähnlichen oder gar gleichen Lebenssituationen auszutauschen und mit ihnen Schwierigkeiten im Einsatz oder Befürchtungen und Zweifel, aber auch die ganzen schönen Erlebnisse auf Augenhöhe besprechen zu können. Im Rahmen des Seminars haben wir auf die vergangenen Monate und Erfahrungen zurückgeblickt und diese reflektiert. Zudem haben wir einen Ausblick in die Zukunft gewagt: Wie könnte der Abschied im Einsatzland aussehen und was steht danach in Deutschland an?

Vor dem Zwischenseminar wusste ich nicht wirklich, mit welchem Gefühl ich in dieses Seminar hineingehe und hatte auch ein wenig Angst, dass mich dieses aus meiner neu erlangten bolivianischen Routine rausholt. Doch das hat es keinesfalls. Für mich war das Seminar ein tolles und wichtiges Erlebnis. Der Austausch mit anderen, die meine Situation nachempfinden können, war sehr bereichernd, allgemein hat das Seminar bei mir für einen neuen Schub an Kraft, Motivation und Stärke gesorgt.
 
Nach dem Seminar ging es für Johanna und mich auch direkt weiter zum größten Karneval Boliviens in Oruro. Dort hatten wir die Möglichkeit, bei den Steyler Schwestern zu schlafen und mit ihnen gemeinsam zu essen, wodurch schöne Gespräche und ein intensiver Austausch zustande gekommen sind. Der Karnevalszug war sehr groß und ging fast pausenlos zwei Tage lang. Zwischen vielen traditionellen Tänzen und Musik waren auch die Kostüme ein absolutes Highlight. Gemeinsam mit anderen Freund*innen hatten wir uns im Voraus Tribünenplätze reserviert, sodass wir eine sehr gute Aussicht hatten und zudem war die Stimmung auf den Tribünen besonders gut.
 
Am folgenden Samstag war der Karneval in Cochabamba, auch "Corso de Corsos" genannt. Hierfür hatte die Fundación Stühle vermietet, die wir am Vorabend und am selben Morgen noch an Ort und Stelle gebracht und aufgebaut haben. Hier in Bolivien ist es üblich, dass bei großen Umzügen und Paraden am Wegesrand Leute ihre Tribünen und Stühle vermieten und somit Geld einnehmen. An Karneval sind die Straßenränder so voll, dass man ohne einen Sitzplatz auch gar nichts sehen kann. Mein Fazit: Wenn man zu Karneval in Bolivien ist, muss man sich mindestens einen Umzug anschauen. Doch aufgepasst, hier ist es in der gesamten Karnevalszeit üblich, andere draußen auf der Straße mit Wasser und Schaum nass zu spritzen.
 
Ich bin nicht mehr nur gut in Cochabamba angekommen und habe mich eingelebt, nein, für mich ist Cochabamba ein Zuhause geworden. Ich fühle mich wohl, habe meine Lieblingsorte für mich entdeckt, habe ein Hobby für mich wiederentdeckt und viele neue tolle Menschen kennengelernt. Das Klima hier ist für mich ideal, nicht umsonst wird Cochabamba auch die Stadt des ewigen Frühlings genannt. Trotzdem freue ich mich schon darauf, dass die Regenzeit bald endet.
 
Im Einsatz ist nicht immer alles nur rosig, erst vor Kurzem ereilte uns die Nachricht, dass das Dengue-Fieber nun auch in Bolivien ausgebrochen ist und zusätzlich noch zwei weitere Krankheiten, die einen schweren Verlauf mit sich bringen können. Da man so etwas im Voraus nicht absehen kann, haben wir uns vor der Ausreise in Deutschland keine Gedanken darüber gemacht. Jetzt müssen wir uns neu informieren und unseren Lebensstil ein bisschen an die geänderte Situation anpassen. So schreiben wir dem Moskitoschutz jetzt mehr Bedeutung zu, gerade in der Regenzeit, wo wir in Cochabamba doch einige Moskitos haben. Aber das alles schränkt unseren Einsatz zum Glück noch nicht ein und wir dürfen weiter Erfahrungen für unser Leben sammeln.
 
MaZ in Bolivien zu sein, war immer mein großes Ziel. Jetzt, wo es Wirklichkeit ist, kann ich gar nicht sagen, wie dankbar ich bin. Dankbar für all die neuen, schönen Begegnungen, dankbar für all das, was die Menschen mir hier beibringen. Für mich ist eine wichtige Erkenntnis: Es muss nicht immer alles perfekt sein und es darf auch mal länger dauern, Hauptsache ist, dass es uns dabei gut geht. Die Menschen hier haben eine ganz andere, unglaublich bereichernde Einstellung zum Leben, eine Leichtigkeit und ein Verständnis vom Leben, welche ich für mich später auch zurück mit nach Deutschland nehmen möchte.

Für mich ist MaZ nicht nur ein Jahr im Ausland, für mich bedeutet MaZ viel mehr. MaZ ist ein Gefühl, das Privileg, lernen zu dürfen, lernen über sich selbst, die Welt und das Leben. MaZ ist eine unvergessliche Bereicherung für das eigene Leben.
 
Sarah

Erst Vorbereiten...
... dann mit den Kindern umsetzen.
Gemeinsam mit den Kindern wurde Gemüse angepflanzt.
Was hier wohl wachsen wird?
Karneval mit Johanna, die ebenfalls als MaZ in Bolivien ist.
Eine Lagune bei Cochabamba.
Sarah in der sogenannten Salzwüste.
Mit der Kommunität der Schwestern in Bolivien.
Blick nach vorne: Wie wird der Abschied vom Einsatz sein?
Gruppenfoto mit den Freiwilligen beim Zwischenseminar in Posadas.