MaZ: „Dieses Gefühl des Glücklichseins ist so wertvoll“

Für Luisa steht der Abschied aus Argentinien an, denn ihr Jahr als Missionarin auf Zeit endet bald. Hier blickt sie zurück auf ihren Einsatz und beschreibt, welche Entscheidung besonders wichtig für sie war.

Ein wunderbares Jahr neigt sich dem Ende zu. Ein Jahr, in dem ich in drei verschiedene Kulturen eintauchen durfte, in dem ich unzählige nette Menschen kennenlernen konnte und in dem ich viel über mich selbst gelernt habe. Ein Jahr, das im Rückblick eines der besten und prägendsten meines bisherigen Lebens ist und ein Jahr, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es so schnell zu Ende geht. Nun ist es doch soweit.

Vor elf Monaten kam ich im Provinzdörfchen Gobernador Roca im Nordosten Argentiniens an. Als Deutsche, gerade mit dem Abitur fertig, die viel Lust hatte, die Welt zu sehen und noch nicht viel Lebenserfahrung gesammelt hatte. Ich weiß noch, wie ich im Pausenhof des Colegios Nuestra Señora de Fátima, in dem ich dieses Jahr wohnte, von den Schüler*innen mit Fragen bombardiert wurde. Ich sprach, nun ja, un poco Spanisch und verstand kaum eine der Fragen, geschweige denn konnte ich darauf antworten. Inzwischen spreche ich fließend Spanisch und habe keine Probleme mehr, spanische Filme zu gucken und meine Meinung auf Spanisch auszudrücken.

Ich weiß auch noch, wie ich zum ersten Mal in das indigene Dörfchen Guaporaity fuhr. Ich war fasziniert von den kleinen Häuschen, in denen die Mbya-Guaraní wohnen, vom Regenwald, der das Dorf umgibt, von den Kindern, die mich schüchtern anlächelten und sich anschließend untereinander in einer Sprache unterhielten, in der ich wirklich kein einziges Wort verstand. Das Mbya kann ich leider bis heute nicht flüssig sprechen, wohl aber habe ich das Dorf erkundet, die Kultur der Indigenen kennengelernt und die Kinder in mein Herz geschlossen.

Im Laufe des Jahres habe ich mich mit meinen Lehrerkolleg*innen angefreundet. Ich habe die Kinder kennen und lieben gelernt. Ich habe meine ersten Unterrichtsstunden in Englisch gegeben, ich habe Weihnachten mit den Mbya-Guaraní gefeiert, ich habe Klassenzimmerwände gestrichen und unzählige Kinder getröstet.

Bis Mai habe ich an zwei Tagen in der Woche im Colegio in Gobernador Roca gearbeitet. Dieses wird von einer der Schwestern, mit denen ich zusammenlebte, geleitet. Zu Beginn begleitete ich die fünfte Klasse und half, wo ich konnte. Im neuen Schuljahr, das im März begann, wurde ich schließlich als Hilfslehrkraft in der ersten Klasse eingesetzt. Zusammen mit der Klassenlehrerin gewöhnten wir die Kinder an den Schulalltag und die Kinder waren froh, neben der verantwortlichen Lehrkraft eine zweite Ansprechperson zu haben. Ich half, die Hefte vorzubereiten, Arbeitsblätter zu kopieren und natürlich verbrachte ich die meiste Zeit mit den Kindern, die mich schnell in ihr Herz schlossen. Ich half beim Rechnen und unterstützte beim Lesen, ermahnte, ermutigte, motivierte. Als ich Anfang Mai beschloss, mehr Zeit mit den Indigenen zu verbringen und dafür die Arbeit im Colegio aufzugeben, wurde ich mit einer riesigen Umarmung der ganzen Klasse auf einmal verabschiedet.

Die Entscheidung, mich voll der Arbeit mit den Mbya-Guaraní zu widmen, war die beste des gesamten Jahres. So hatte ich mehr Zeit für die Kinder in Guaporaity, die deutlich mehr Hilfe brauchten als die im Colegio.  Ich hatte schon zu Schuljahresbeginn angefangen, mehreren älteren Schüler*innen zwischen elf und 14 Jahren, die noch nicht lesen konnten, Leseunterricht zu geben. Dazu hatte ich meine Schüler*innen zweimal pro Woche zu Hause abgeholt. Wir gingen dann gemeinsam in die Schule, wo wir neue Buchstaben lernten, erste einfache Wörter schrieben sowie kurze Sätze lasen. Es ging langsam, aber stetig voran. Buchstabe für Buchstabe. Der Fortschritt war noch einmal stärker zu beobachten als ich „meine“ Schüler*innen quasi jeden Tag in die Schule holte und wir wenigstens kurz lasen. Außerdem begann ich, die inzwischen sechs Schüler*innen auch nachmittags zu unterrichten. Neben der Küche der Schule gab es einen Raum mit einer kleinen Tafel und Tischen und so begann ich, dort mit meinen Schüler*innen zu arbeiten, während der Rest der Klasse im Klassenzimmer lernte. Während ich also vormittags Einzelunterricht gab oder die Kinder in Zweierpaaren unterrichtete, so arbeiteten wir nachmittags an Arbeitsblättern, schrieben Wörter, ordneten gelesenen Sätzen entsprechende Zeichnungen zu. Dadurch entlastete ich auch die Klassenlehrerin der ersten bis dritten Klasse, die somit in einem ruhigeren Klassenzimmer weniger Kinder auf jeweils ähnlichem Niveau unterrichten konnte. Es war schön, dafür viel Zuspruch und Vertrauen meiner Kolleg*innen zu erhalten. Diese unterstützten mich in meiner Tätigkeit, obwohl ich keine ausgebildete Lehrkraft bin.

Im Juni fingen meine Leseschüler*innen an, die ersten Kinderbücher zu lesen, da sie die meisten Buchstaben schon sicher kannten. Es zeichnete sich bald eine starke Verbesserung ab. Lasen die Kinder zu Beginn noch sehr stockend, mit viel Unterstützung und mit wenig ausdauernder Konzentration, waren bald deutlich weniger Hilfe und Pausen nötig, der Lesefluss verbesserte sich merklich. So schafften wir bis auf vier Buchstaben das ganze Alphabet und die Kinder können nun größtenteils selbstständig lesen. 

Wenn ich nicht gerade mit meinen Schüler*innen Lesen übte, gab ich Englischunterricht. Auch dieser bereitete mir viel Freude. Vor allem die älteren Kinder in Guaporaity waren sehr wissbegierig. Sie freuten sich immer sehr, wenn der Englischunterricht begann. Eine Abwechslung im Schulalltag, der sonst größtenteils aus Mathe und Spanisch besteht. Ich nahm mit den Viert- bis Siebtklässler*innen die Vorstellung, die Nummern, das Alphabet, die Farben, den Klassenraum und die Familie durch. Die Kinder schafften es bald, erste einfache Sätze zu bilden. Besonders freute sich die Klasse, wenn wir mit Tablets arbeiteten. Dazu erstellte ich im Voraus zuhause ein Kahoot-Quiz, das die Schüler*innen am Tablet beantworteten.

An den Montagen fuhr ich in ein anderes indigenes Dorf namens Leoni Tava’i, um Englisch zu unterrichten. Hier war es etwas schwieriger, die Schüler*innen zu motivieren. Eine Mischung aus Desinteresse und Scheu vor der Nutzung der Sprache gestaltete den Unterricht oft zu einer Herausforderung. Ich beschloss, das Thema „London“ durchzunehmen. So sollten die Kinder die englischsprachige Welt kennenlernen. Ich war mir bei diesem Thema recht unsicher. Schließlich ist es unwahrscheinlich, dass die Schüler*innen jemals die Möglichkeit haben werden, diese Stadt kennenzulernen. Ich befürchtete, eher für Verdruss und Enttäuschung zu sorgen als für Begeisterung. Meine Zweifel bestätigten sich glücklicherweise nicht und ich konnte die Lust aufs Englischlernen wecken.

In meinem Jahr als MaZ habe ich auch herausfordernde Momente erlebt, aber die schönen überwiegen doch bei Weitem. Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit für das, was ich alles erleben durfte. Ich war eingeladen auf einen 15. Geburtstag, der in Argentinien generell sehr groß gefeiert wird. Ich war auf einer Hochzeit in Paraguay und auf einer im indigenen Dorf Sapukai. Ich durfte dreimal die gewaltigen Wassermassen der Iguazú-Wasserfälle erleben. Ich habe hunderte von Empanadas für das Schulfest des Colegios frittiert. Ich bin mit einer Gruppe von Schwestern und Jugendliche zehn Tage auf Mission in eine andere Provinz gefahren, wo ich Lebensrealitäten kennengelernt habe, die mich teilweise schockiert haben. Ich habe am „Tag der Flagge“ das Versprechen der argentinische Grundschüler*innen auf die argentinische Flagge miterlebt. Ich habe unzählige Mate getrunken und wunderschöne Sonnenuntergänge angesehen.

Der Abschied, insbesondere von meinen Schüler*innen in Guaporaity, fiel und fällt mir schwer. Ich habe viele Leute und vor allem die Kinder in einem Jahr sehr liebgewonnen. Ich bin dankbar, dass ich so gut akzeptiert und aufgenommen wurde. Zum Schluss hin habe ich besonders deutlich gemerkt, wie sehr meine Arbeit in der Schule wertgeschätzt wurde: Die Kinder haben mir Bilder gemalt und Briefe geschrieben, die mir die Tränen in die Augen trieben. Ich bin fest entschlossen, sobald wie möglich zurückzukommen. Schließlich möchte ich wissen, ob sich meine Leseschüler*innen im Lesen verbessern und ob die Größeren weiter Englisch lernen.

Ich merke, dass ich in Guaporaity einen Ort gefunden habe, an dem ich wahrlich glücklich bin. Glücklich, ohne viel zu haben. Glücklich in dem, was ich tue und glücklich durch die Menschen, mit denen ich Zeit verbringe. Und dieses Gefühl des Glücklichseins ist sooo wertvoll.

Luisa