MBB: „Eine unfassbar bereichernde Erfahrung“

Vor einem Jahr begann für Franzi mit der Frankfurtwoche ihre Vorbereitung auf ihren Einsatz als Freiwillige in unserem Programm „Mission Beyond Borders“ (MBB). Jetzt blickt sie zurück auf ihre Zeit in Rom, in der sie auch eine neue Familie gefunden hat.

Es ist Ostersonntag und ich bin in Rom. Damit geht ein langjähriger Traum in Erfüllung. In meinen Träumen von damals hätte ich mir dieses Ereignis jedoch wahrscheinlich anders vorgestellt: Ich verbringe die Osterfeiertage alleine. Was möglicherweise traurig klingt, aber die beste Entscheidung war, die ich treffen konnte. In dieser ruhigen, festlichen Stimmung habe ich endlich Zeit, auf das letzte Jahr zurückzuschauen. Ein Jahr, das mein Leben tiefgreifend verändert hat.

Vor genau einem Jahr bin ich nach Frankfurt gefahren, wo meine Vorbereitung auf meinen Auslandseinsatz offiziell begonnen hat. Und bereits dieses Treffen hat mir Einblicke in ein anderes Leben gegeben. Das erste Mal habe ich Menschen getroffen, mit denen ich über den Glauben reden und diskutieren konnte. Und die mir gezeigt haben, was es bedeutet, Nächstenliebe zu leben – in einer Vielzahl von kleinen Projekten, die sie nebenher im Alltag betreiben.

Alle Seminare und Treffen, die ich vor meiner Zeit in Rom hatte, haben mich geprägt und meine Sicht auf die Welt ein kleines bisschen verändert. Aber nichts hat mich auf dieses Leben, diese Zeit in Rom vorbereitet. Aus einem ganz einfachen Grund: Man muss es erleben, um es zu begreifen. Jeden einzelnen Tag musste ich meine eigenen Grenzen überwinden und etwas Neues wagen. Und sei es nur, die neue Sprache zu sprechen oder auf fremde Menschen zuzugehen.

Es ist nicht einfach, ein soziales Projekt im Ausland zu unterstützen. Es ist nicht einfach, alleine in einem fremden Land zu leben (wobei für Italien „fremd“ vielleicht nicht das richtige Wort ist). Aber es ist die schönste und wertvollste Erfahrung, die man meiner Meinung nach machen kann. An einem Ort bei Null anzufangen, bedeutet gleichzeitig, dass es nur besser werden kann. Ich kam nach Rom, um „mit Flüchtlingen zu arbeiten“. „Um etwas Gutes zu tun“ – als ob ich es aus altruistischen Gründen tun würde. Am Ende habe ich mit Menschen gearbeitet. Sie haben mir beigebracht, was es bedeutet, Gutes zu tun.

Ich habe Priester und Ordensmänner kennengelernt, die es sich aus Liebe zu den Menschen zur Lebensaufgabe gemacht haben, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich habe mit Kolleg*innen zusammengearbeitet, die allen Bedürftigen, die zu uns in die Küche gekommen sind, Essen und ein freundliches Wort gegeben haben. Mein Chef, der Koch in der Mensa des Centro Astalli, kannte alle unsere Gäste mit Namen und hat sich für jede*n Einzelne*n Zeit genommen. Und schlussendlich war auch ich eine der Bedürftigen. Eine Fremde, die Schwierigkeiten mit der Sprache hatte und niemanden in der Stadt kannte. Und er – gemeinsam mit den anderen Kolleg*innen – hat mich aufgenommen wie seine Tochter. Und zusätzlich hat er mir beigebracht, wie eine echte Italienerin zu kochen. Mehr Dolce Vita hätte ich mir nie erträumen können!

Ich habe das Glück, selbst nach meinem MBB-Einsatz weiterhin in Rom zu leben. Alle paar Wochen gehe ich im Centro Astalli vorbei, um meine „Familie“ zu sehen. Und ausnahmslos jedes Mal werde ich behandelt, wie die geliebte Tochter, die nach Hause kommt. Ich erzähle von meiner neuen Arbeit und als ich einmal erzählt habe, dass ich ein Arbeitsessen mit einem Mann habe, haben sie gemeint, dass ich diesen Mann zuerst bei ihnen vorbeibringen müsste. Denn „die Familie muss einen Mann kennenlernen“, bevor ich mich mit ihm treffen kann. Natürlich ist das Ganze nicht so ernst gemeint, aber es zeigt mir, wie sehr ich hier angekommen bin.

Ich sehe die Welt mit anderen Augen. Als ich im September angefangen habe, „mit Geflüchteten“ zu arbeiten, war ich sehr unsicher. Und ja, unsere Gäste waren fast alle junge, alleinstehende Männer. Und ja, es gab oft Situationen, in denen meine persönlichen Grenzen übertreten wurden. Es waren Situationen, in denen meine Kolleg*innen einschreiten mussten. Es hat geholfen, dass mein Chef sich irgendwann als mein Verlobter ausgegeben hat. Aber rückblickend kann ich diese Erfahrungen anders einordnen. Es waren Einzelfälle und ich musste Schritt für Schritt lernen, für meine Grenzen einzustehen. Nein zu sagen. Es ist wichtig, seine eigenen Grenzen zu kennen und dafür auch einzustehen. Es ist deine persönliche Einschätzung, wann jemand zu weit geht. Das, was du in diesem Moment fühlst, ist richtig. Und du hast jedes Recht, diese Wohlfühlzone einzufordern. Deine Privatsphäre, in die niemand eindringen darf.

Das war etwas, das ich über mich selbst lernen musste: Wie weit darf ein*e Unbekannte*r gehen, bis ich mich unwohl fühle. Und nachdem ich diese Grenze festgelegt hatte, konnte ich die Menschen erstaunlicherweise näher an mich heranlassen. Ich habe angefangen, die Namen unserer Gäste zu lernen, ich habe mit einigen immer wieder die gleichen Scherze gemacht. Ich habe einen sehr interessanten Mann kennengelernt, mit dem ich zwischen der Essensausgabe über Politik diskutieren konnte. Ich wusste am Ende, wer Vollkornbrot bevorzugt und wer keine Beilagen zum Fleisch möchte. Ich habe mit einem Straßenkünstler eine Mischung aus Italienisch und Deutsch gesprochen, weil er beide Sprachen fließend beherrscht. Und eben dieser Straßenkünstler hat mir erzählt, wo er in der Regel seine Bilder verkauft und bis jetzt gehe ich immer wieder dort vorbei, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Drei seiner Bilder hängen inzwischen in meinem Büro.

Eine weitere Geschichte hat mich über die letzten Monate sehr stark geprägt: Seit Dezember habe ich zweimal die Woche ein 16-jähriges armenisches Mädchen zur Dialyse begleitet. Ihr Papa war auf Arbeitssuche und die Mutter seit der Flucht vor fünf Jahren immer noch in Armenien, da das Geld damals nicht für sie gereicht hat. Dieses Mädchen, das pro Woche 15 Stunden im Krankenhaus verbringen muss, hat mich erstaunt. So lebensfroh – ich habe nicht einmal erlebt, dass sie sich beklagt hat. Im Gegenzug dazu habe mich – zumindest innerlich – immer beklagt. So eine zähe Arbeit, zweimal die Woche über vier Stunden im Krankenhaus rumsitzen und danach noch über zwei Stunden im Stau stehen, um nach Hause zu kommen. Vor 8 Uhr abends war ich nie zuhause und dann war das Abendessen bei den Schwestern auch schon rum, also musste ich alleine essen.

Nach dem Ende meines MBB-Einsatzes im Februar habe ich auch diesen Job aufgegeben. Was bedeutet hat, dass der Vater dieses Mädchens seine Arbeitssuche wieder aufgeben musste und dreimal die Woche mit seiner Tochter ins Krankenhaus musste…Vor zwei Wochen habe ich eine Nachricht von ihr bekommen: „Kannst du nächsten Freitag mit mir ins Krankenhaus kommen? Ich brauche jemanden, der mich beaufsichtigt und mein Papa ist nicht da. Mein Papa holt meine Mama ab.“ Endlich, endlich nach fünf Jahren der Trennung ist die Familie endlich wieder vereint. Und ich hoffe sehr, dass sich bald die Gelegenheit ergibt, dass ich mit der ganze Familie Essen gehe. Die Planungen laufen…

Natürlich läuft jeder Freiwilligeneinsatz anders ab. Und sicherlich findet nicht jeder und jede an der Einsatzstelle sein Zuhause und seine Familie. Aber ich bin mir sicher, dass es für jede Freiwillige und jeden Freiwilligen eine unfassbar bereichernde Erfahrung sein kann und wird. Und jeden, den es dabei nach Rom verschlägt, heiße ich sehr gerne in meiner neuen Heimat willkommen!

Franzi

Mehr Infos zu unserem Freiwilligenprogramm Mission Beyond Borders.

Beim Vorbereiten des Mittagessens
Unterwegs mit einem Steyler Missionar