Fatima ist krank. Nass geschwitzt liegt sie in einem Bretterverschlag am Rande des Madina-Marktes, zitternd vor Fieber. Manchmal kommt ihre Mutter vorbei, sie zuckt die Achseln, wenn sie die Kranke sieht, und geht wieder. Fatima müsste Wasser kaufen und etwas zu essen, aber dafür müsste sie aufstehen können und Arbeit finden. Fatima ist acht Jahre alt.
Asana ist seit viertel vor Fünf auf den Beinen. Sie ist zum Rand des Marktes gerannt, wo die Lastwagen ankommen. Dutzende Mädchen drängen sich mit ihren Blechschüsseln um die Ladefläche: Gib mir Melonen, ich trage sie! Asana hat Pech – andere sind schneller und stärker als sie. Den ganzen Tag läuft sie durch den überfüllten Markt, hofft, dass jemand sie braucht. „Meine Freunde haben mich aus meinem Dorf geholt und mir versprochen, dass ich hier Arbeit finde. Aber manchmal sitze ich stundenlang unter diesem Baum und schlafe, weil mich niemand ruft.“ Asana fühlt sich verraten.
Fatima und Asana sind Kayayei. Das Wort bedeutet „Lastenträgerinnen“. Mit großen Blechschüsseln auf dem Kopf transportieren sie durch das Gewühle zwischen den Marktständen, was immer man ihnen auflädt. Sie bringen den Marktfrauen die Waren an den Stand und liefern die Einkäufe zum Bus oder zum Auto. Bis zu 30 Kilo drücken an manchen Tagen auf Asanas Kopf. Das sind gute Tage. Sie bringen Geld. 10 Euro am Tag sind ein Spitzenverdienst. Manchmal hat sie nicht mal 20 Cent für eine Flasche Wasser. Auch die Steyler Schwester Angelina Gerharz lässt sich von Mädchen wie Fatima und Asana beim Einkaufen helfen. „Es ist eine Gelegenheit, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, leider manchmal nur mit Gebärden, denn sie sprechen meist nur ihre einheimische Sprache aus dem Norden.“
Die 77-Jährige aus Bad Kreuznach, die seit mehr als 50 Jahren in Ghana lebt, war überrascht, als sie zum ersten Mal zum Markt von Accra ging und dort die ersten Kayayei sah: „Es gab Frauen mit Kindern auf dem Rücken, sehr viele junge Mädchen und Kinder, alle bei der Kaya-Arbeit. Es ist die einzige Chance zum Geldverdienen für ungelernte Kräfte.“ Schwester Angelina hat sich immer für benachteiligte Mädchen und Frauen eingesetzt. Sie arbeitet in der Schulseelsorge in den abgelegenen Dörfern im Norden Ghanas, leitete eine Schule und ein Internat. Doch die Trägermädchen vom Markt berührten ihr Herz: „Sie leben unbeachtet, oft verachtet, beschimpft und ausgebeutet in unserer Nachbarschaft, in unserer Pfarrei. Man schaut auf diese niederen Menschen herab. Aber in jeder steckt eine Geschichte und ein Geheimnis!“
Wie viele auf den mehr als 20 großen und 50 kleinen Märkten in der Hauptstadt Ghanas schuften, weiß niemand. Schwester Angelina schätzt, dass allein auf dem Madina-Markt 6000 unterwegs sind. Sie kommen aus dem verarmten Norden des Landes, wo es keine Arbeit gibt. Wenn die Ernte ausfällt, hungert das ganze Dorf. Die meisten der Mädchen haben nicht einmal die Grundschule besucht. Kaya-Arbeit ist das Einzige, was sie überleben lässt. Eine Arbeit, die so schlecht angesehen ist, dass Jungs sie niemals machen würden.
Ohne die Trägerinnen geht in den engen, schlammigen Gassen der Märkte nichts. Wo kein Fahrrad und kein Lastkarren durchkommt, schlängeln sich schon Sechsjährige mit ihren Blechschüsseln durch – vorbei an Körben mit Ananas, an Bergen von gebrauchten Schuhen, Tomaten, Fisch. Ohne sie würde der Markt nicht funktionieren. Und doch werden sie gnadenlos ausgebeutet und schlecht bezahlt. Wenn sie Pech haben, bekommen sie nicht mal das Ausgemachte. Denn einen Vertrag gibt es nicht, und wer sich beschwert, bekommt gar nichts. „Für manche schleppst du Berge von Zeug von einem Markt zu anderen und dann geben sie dir nicht mal 40 Cent“, erzählt Asanas Freundin Mariama. „Wenn du dich dann beschwerst, sagen sie: Sei froh, dass du überhaupt was tragen durftest!“
Dabei brauchen die Mädchen jeden Cent. Denn es gibt nichts umsonst auf dem Markt von Madina. Die Toilette kostet Geld, das Trinkwasser, der Bretterverschlag, in dem sie schlafen. Die „ältere Schwester“, die sie auf den Markt gebracht hat, will ihren Lohn, die Marktaufsicht fordert Abgaben. Wenn etwas übrigbleibt – und das muss es, damit die Mädchen nicht ihr Gesicht verlieren –, schicken sie Geld in den Norden. Für die hungernden Eltern. Für das Kind, das dort zur Schule gehen soll. Manchmal auch für die eigene Zukunft. Denn erben können im Norden Ghanas nur die Söhne. Seife, Kleidung, Medikamente gegen Kopfschmerzen, Schnittwunden und schmerzende Knochen von zu schweren Lasten, all das ist für viele Kayayei unbezahlbar. Die Angst, überfallen, vergewaltigt und ausgeraubt zu werden, schläft immer mit in den primitiven dunklen Bretterverschlägen, die man nicht abschließen kann. Manche versuchen es mit Prostitution. Andere werden Opfer von Menschenhandel. „Manchmal wird man mutlos“, gibt Schwester Angelina zu.
Denn den Kayayei zu helfen, ist nicht einfach. Sie müssen Geld verdienen; der Druck, der auf ihnen lastet, ist enorm. Mitten auf dem Markt hat Schwester Angelina ein Refugium für die ausgebeuteten Mädchen geschaffen: „Positive Action for Porter Girls“. Hier gibt es Gesundheitsberatung und Hilfe für den Schulbesuch oder die Lehrstellensuche. Vor allem die jüngeren Mädchen sollen lesen, schreiben und rechnen lernen. „Es ist ein wichtiger Schutz vor Ausbeutung, wenn man sich selbst informieren kann und nicht alles glauben muss, was andere sagen!“, sagt Schwester Angelina energisch. Doch viele Eltern wollen nicht, dass ihre Mädchen lernen: Schulbesuch bedeutet Geldausfall. Oft ist Schwester Angelina auch Babysitterin für die Kinder der Kayayei. Viele werden schon mit 15 schwanger und wissen nicht, wo sie die Kleinen lassen sollen, denn Lasten tragen mit einem Kind auf dem Rücken ist mühsam. Wer kann, schickt das Kind in den Norden zu den Eltern – und wenn es fünf Jahre alt ist, kommt es zurück auf den Markt von Accra. Und wird Kayayo.
Schwester Angelina träumt von einem Haus für die Trägerinnen, die sie „meine Schwestern“ nennt. Seit drei Jahren kämpft sie darum, einen Bauplatz für ein Haus in der überfüllten Millionenstadt zu finden, wo die Mädchen wohnen können, wo sie lernen dürfen, medizinische Hilfe und einen sicheren Platz für ihre Babys finden. „Es tut ihnen gut, wenn man sie respektiert und sie wie Menschen behandelt. Und mir geben ihr freundlicher Gruß und ihr dankbares Lächeln neue Kraft!“
Mit Schwester Angelinas Hilfe hat Fatima es geschafft. Die Schwestern haben ihr einen Platz in ihrer Internatsschule angeboten, nach zwei Jahren hat sich das kleine Mädchen, das nicht lesen und schreiben konnte, in die vierte Klasse gekämpft. Ostern ist Fatima zur Erstkommunion gegangen, begleitet von den anglikanischen Pflegeeltern, die sie in den Ferien betreuen. „Die konkrete Nächstenliebe, die hier gefragt ist, hat mich allen Menschen und Religionen nahegebracht“, sagt die Steyler Schwester. „Sie hat mich an das Gute im Menschen glauben lassen.“
Christina Brunner
Der Text erschien in der Septemberausgabe von Leben jetzt (früher stadtgottes), dem Magazin der Steyler Missionare.